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Wiederbelebtes Nashorn «Enger kann der genetische Flaschenhals nicht mehr sein»

Künstliche Befruchtung und Stammzellen sollen das Nördliche Breitmaulnashorn vor dem Aussterben retten. Ist das sinnvoll?

Nur zwei Nördliche Breitmaulnashörner gibt es noch auf der Welt: beides ältere, unfruchtbare Weibchen. Das letzte Männchen ist 2018 gestorben.

Eizellen und Sperma von diesen letzten Tieren konnte man retten. Ein südliches Breitmaulnashorn dient nun als Leihmutter. Vor einem Monat wurde ihr die befruchtete Eizelle eingesetzt.

Parallel dazu wollen Stammzellenforscher aus erhaltenen Körperzellen eines Nördlichen Breitmaulnashorns Spermien nachzüchten. Wie sinnvoll ist es, ausgestorbene Arten auf diese Weise wiederzubeleben? Mit solchen Fragen befasst sich Bernd Schildger, der langjährige Direktor des Tierparks Bern.

Bernd Schildger

Professor für Tiermedizin

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Bernd Schildger (geb. 1965 in Frankfurt am Main) studierte Tiermedizin in Giessen und praktizierte anschliessend als Zootierarzt in Giessen. Seit 1997 ist er Direktor des Tierparks Dahlhölzli in Bern.

In seinem neusten Buch «Mensch, Tier!» (Werdverlag, 2019) beschreibt er die ambivalente Beziehung von Tier und Mensch: Der Tierschutz nehme zu und gleichzeitig benutze der Mensch immer mehr Tiere für seine Zwecke.

SRF: Herr Schildger, wird es Stammzellenforschern gelingen, neue Spermien eines Breitmaulnashorns zu züchten?

Bernd Schildger: Ich kann mir vorstellen, dass die Wissenschaft das irgendwann hinbekommt. Die Frage ist, ob das sinnvoll ist.

Wir massen uns Gottgleichheit an, wenn wir das Produzieren und Finden von Tierarten als gesellschaftliches Ziel erachten.

Es gibt nur zwei Weibchen dieser Nashornart und lediglich das eingefrorene Sperma eines Männchen. Noch enger kann der genetische Flaschenhals nicht mehr sein, mit all seinen negativen Folgen.

Was wären solche negative Folgen?

Das kann alles mögliche sein. In einem ähnlichen Projekt hat man den Wisent (Europäisches Urrind, A.d.R.) nachgezüchtet. Dort hat man beispielsweise festgestellt, dass die Tiere Fortpflanzungsprobleme haben. Noch unmittelbarer kann ein zu kleiner Genpool auch zu Totgeburten führen.

Darf und soll der Mensch so in die Evolution eingreifen?

Das tun wir ja jeden Tag mit unser schieren Existenz. Dass das Nördliche Breitmaulnashorn ausgestorben ist, liegt einzig und allein an uns Menschen: Grosswildjäger haben die Tiere, die es früher millionenfach gab, innerhalb weniger Jahrzehnte dezimiert.

Unser Umgang mit dem Nashorn generell ist Ausdruck eines westlichen Wirtschaftskolonialismus.

Inwiefern?

Das Nashorn stirbt aus, das erleben wir alle mit. Der Bestand liegt zurzeit zwischen 20'000 und 30'000 Tieren weltweit. Je nach Art haben die Tiere Zwischenkalbszeiten von 3 bis 5 Jahren.

Alleine in Südafrika wurden im letzten Jahr 1000 Tiere gewildert. Jetzt kann man sich leicht ausrechnen, dass es nicht mehr lange dauert, bis das Tier verschwunden ist.

Ist es also sinnvoll, so viel Energie in den Schutz einer Art zu investieren, die wir selbst ausgerottet haben? Vielleicht wäre es sinnvoller, das Geld in realen Arten- und Lebensschutz zu stecken. Zudem: Wir reden hier beim nördlichen Breitmaulnashorn über ein einziges Nashornpaar.

Aber ist es aus der Perspektive der Forschung nicht faszinierend, dass man an der Wiederbelebung von ausgestorbenen Arten arbeitet?

Ja, das ist grandios und faszinierend. Aber wir massen uns auch Gottgleichheit an, wenn wir das Produzieren und Finden von Tierarten als gesellschaftliches Ziel erachten. Das finde ich moralisch und ethisch fragwürdig.

Das Gespräch führte Irène Dietschi.

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