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Natur & Tiere Artensterben: Nicht nur schützen, was flauschig ist

Kuschelige Pandas, majestätische Tiger, beeindruckende Elefanten. Daran denkt, wer von bedrohten Tieren hört. Tatsächlich werden diese charismatischen Arten bevorzugt geschützt. Einige Forscher meinen: Es braucht objektivere Kriterien, welche Arten man schützen soll. Und welche nicht.

Insgesamt 73'686 Arten – Pflanzen und Tiere zusammengenommen – erfasst die Rote Liste der Weltnaturschutzunion IUCN, die dieses Jahr ihr 50-jähriges Bestehen feiert. 22'103 davon sind vom Aussterben bedroht. Da stellen sich Fragen über Fragen: Was schützt man? Und aus welchem Grund? Und da die Ressourcen begrenzt sind: Was lässt man aussterben?

Rationale Überlegungen standen bisher bei den Artenschutz-Entscheidungen kaum im Vordergrund, erklärt Walter Jetz, deutscher Biologe an der Yale University: «Arten, die sich leichter als schutzwürdig verkaufen lassen, haben von Massnahmen am meisten profitiert.» Mit anderen Worten: Was gross oder glupschäugig ist, bunt oder fluffig, dafür lassen sich durch Werbemassnahmen leicht Spendengelder sammeln.

160 Millionen Jahre Evolutionsgeschichte bedroht

Der Attenborough-Langschnabel-Igel fällt gewiss in keine dieser Niedlichkeitskategorien. Er ist klein, erdbraun, unscheinbar. Und kamerascheu ist er scheinbar noch dazu: Dieser in Indonesien beheimatete Kleinsäuger wurde seit Jahren nicht mehr gesichtet. Doch irgendwo muss es ein paar Exemplare geben, denn Biologen entdeckten Spuren seiner Existenz.

Bild eines toten Igels mit Registrierungs-Kärtchen, das um den Fuss gebunden ist.
Legende: Der Attenborough-Langschnabel-Igel: Diese Art aus Neuginea ist nur durch ein einziges Exemplar bekannt, das etwa im Jahre 1961 gefunden wurde. Zoological Society of London

Der Attenborough-Langschnabel-Igel steht auf der so genannten EDGE-Säugetierliste der Zoological Society of London an erster Stelle. Das EDGE-Programm (Evolutionarily Distinct and Globally Endangered) konzentriert sich auf Arten, die evolutionshistorisch einzigartig und global bedroht sind.

Was genetische Einzigartigkeit betrifft, ist der eierlegende Langschnabel-Igel schwer zu übertreffen: Seine Art reicht 160 Millionen Jahre – also in die Zeit der Dinosaurier – zurück. Wenn es ihn nicht mehr gibt, stirbt mit ihm eine besonders lange Evolutionsgeschichte für immer aus.

Was lässt man aussterben?

Walter Jetz arbeitet mit EDGE zusammen und erstellte erstmals für alle fast 10'000 existierenden Vogelarten einen genetischen Stammbaum (siehe Linkbox unten). «Wir haben jetzt ein gutes globales Bild, welche Arten besonders einzigartig sind.» Der Star auf dieser Liste stammt aus Südamerika: Der in Höhlen lebende Fettschwalm symbolisiert 80 Millionen Jahre Evolutionsgeschichte.

Walter Jetz hält einen braunen Vogel in der Hand, einen Fettschwalm.
Legende: 80 Millionen Jahre Evolutionsgeschichte: Forscher Walter Jetz mit einem Fettschwalm in der Hand. Walter Jetz

Heisst das nun: Statt Glupschäugigkeit und Charisma ist genetische Einzigartigkeit das neue Kriterium? Keinesfalls, so Walter Jetz. «Man kann zwar auf dieser Basis ein klares Ranking erstellen. Doch ob man dieses Ranking auch für Entscheidungen benutzt, das ist eine andere Frage.»

Miteinzubeziehen wären etwa auch das, was man ökologische Dienstleistungen nennt. Der derzeit noch nicht gefährdete Fettschwalm beispielsweise ist das einzige Tier in seinem Habitat, das die Früchte von Bäumen frisst und so für die Verbreitung von Samen sorgt. Sollte der Fettschwalm aussterben, würden Bäume in der Region zugrunde gehen.

Einige Artenschützer sehen die Lösung seit Kurzem in der Triage. Dieser medizinische Begriff, der ursprünglich aus der Militärmedizin des ersten Weltkriegs stammt, bedeutet: abwägen, welche Verwundeten Hilfe am nötigsten brauchen und davon auch am ehesten profitieren. Somit bestimmt man letztlich, wen man sterben lässt.

Der Computer entscheidet

Beim Artenschutz werde man ebenso verfahren müssen, erklärt Hugh Possingham, Ökologe an der University of Queensland in Australien. «Traditionell hat man immer in die Rettung von Arten investiert, um die es ganz besonders schlimm steht. Doch das muss man sich gut überlegen.» Denn solche Initiativen sind kostenintensiv, und meist bewahrt man nur eine kleine Population mit beschränkter genetischer Vielfalt und somit wenig Zukunft.

Und ausserdem: Ein kleines Grüppchen wird wohl kaum seine angestammte Rolle in einem Ökosystem erfüllen können. «Klüger wäre es, quantitativ in mehr Arten zu investieren, die nicht ganz so gefährdet sind», sagt Possingham, «langfristig rettet man mehr Tiere, und es kostet wesentlich weniger.»

Hugh Possingham entwickelte dazu das Project Prioritization Protocol (PPP), eine Berechnungsmethode, die folgende Kriterien berücksichtigt: Wie einzigartig ist eine Art? Was kostet ihre Rettung? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Schutzmassnahmen erfolgreich sind? Und wie sehr ist die Art vom Aussterben bedroht?

All diese Faktoren werden von einem Computerprogramm abgewogen, und daraus ergibt sich, welche Arten in einem Habitat Priorität haben. Hugh Possingham hat sich mit seinem rationalen Ansatz nicht nur Freunde gemacht: «Ein paar Leute in der Artenschutzgemeinschaft glauben, wir machen das Aussterben akzeptabel, weil wir so schonungslos darüber reden. Aber Arten sterben ja ohnehin.» Und dank seines Protokolls, so der Forscher, kann man für das gleiche Geld mehr Arten schützen.

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