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Natur & Tiere Kartoffeln als Lebensversicherung gegen den Klimawandel

In Perus Hauptstadt Lima tagt der Weltklimarat. Ausserhalb des Konferenzzentrums kämpfen Kleinbauern in den Anden bereits gegen die Folgen der Erderwärmung. Ihre Waffe: Sie sammeln Kartoffelsorten, die ihr Überleben sichern sollen.

Frühstück bei der Kleinbauernfamilie Chipa Tacuri in Amaru, einem Dorf auf 3'800 Metern Höhe in den Anden: Es gibt Maisfladen, Bohnen – und vor allem Kartoffeln. Hier dreht sich fast alles um die Kartoffel. Vermutlich ist sie vor 8000 Jahren in dieser Region von der Wild- zur Kulturpflanze gezüchtet worden. «Wir haben sehr viele Kartoffelsorten», sagt Pedro Condori Quispi, ein Bekannter der Familie Chipa in der lokalen Sprache Quechua.

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Kartoffeln als Lebensversicherung gegen den Klimawandel
aus Rendez-vous vom 01.12.2014. Bild: Reuters.
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Zum Beispiel die Bitterkartoffeln, die in Wasser eingelegt und danach über viele warme Tage und eisige Nächte gefriergetrocknet werden müssen, damit sie geniessbar sind. Danach sind sie für Jahre haltbar. Oder es gibt die farbigen Sorten oder jene für Suppe. Insgesamt bewahren die Kleinbauern der Gegend über 1000 Sorten auf. Die Papa – das ist der ganze Stolz der Bauern – und der Kern ihrer Kultur.

Mutter Erde hat Fieber

Doch seit einigen Jahren beobachten sie auf ihren Feldern und Bergen Beunruhigendes, berichtet der Bauer Walter Quispe Wilka: Ihre Eltern hätten kaum Kartoffelschädlinge gekannt, doch nun gebe es immer mehr davon, weil es wärmer geworden sei. Gleichzeitig sei das Wetter unvorhersehbarer geworden: Hagel, Frost, Trockenperioden und Flutregen hielten sich nicht mehr an die altbekannten Regeln. Kurz gesagt, Mutter Erde hat Fieber und das heisst, die Bauern müssen sich anpassen.

Dass die Menschen von Amaru und den anderen Dörfern der Gegend angesichts der Klimaveränderungen nicht die Hände in den Schoss legen, zeigt ein Lehmgebäude auf über 4000 Metern Höhe. Hier bleibt es immer kühl. In dieser Arche Noah hüten die Bauern ihre 1300 Kartoffelsorten als Lebensversicherung gegen den Klimawandel. Manche Sorten halten Frost besser aus, andere Schädlinge.

Arche Noah für Kartoffelsorten

Sie haben schon vor einigen Jahren mit der Sammlung begonnen, damals auf eigene Faust. Dann merkten sie, dass Wissenschaftler des internationalen Kartoffelforschungszentrums CIP in Lima in den 1970er-Jahren etwa 400 Sorten aus der Gegend mitgenommen haben, ohne um Erlaubnis zu fragen. Darauf vereinbarten die Kleinbauern mit dem CIP eine Rückführung dieser Sorten und sie fingen an, mit den Forschern zusammenzuarbeiten. Das CIP und eine lokale Entwicklungsorganisation halfen beim Bau des Kühl- und eines Gewächshauses, wo die Bauern ihre Sorten für die Aufbewahrung vorbereiten.

Verschiedenfarbige Kartoffeln unterschiedlichster Formen und Grösse liegen ausgebreitet auf einem Tisch.
Legende: Mehr als 3000 Kartoffelsorten: Das Kartoffelforschungszentrum CIP in Lima hat eine Gendatenbank für die meisten der einheimischen Kartoffeln. Reuters

Vor kurzem haben sie gemeinsam den Anbau von 50 Sorten zwischen 3700 und 4550 Metern getestet. Sie wollen wissen, welche Sorten grössere Höhen und Frost ertragen. Denn die Bauern müssen den Schädlingen ausweichen, die wegen der Erwärmung immer höher steigen. Diese Versuche sicherten ihnen nicht nur das Überleben, sondern sie geben ihnen die Freiheit, auch künftig selber bestimmen zu können, was sie essen möchten.

Diese Selbstbestimmung ist den Bauernfamilien sehr wichtig. Aber sie möchten sie nicht nur für sich bewahren. Darum haben sie mit Bewohnern in anderen Andengegenden schon manche vielversprechende Kartoffelsorten getauscht. Die Bergbauern von Amaru und den anderen Dörfern warten nicht, bis Hilfe von aussen kommt – sie helfen sich selbst, so gut sie können.

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