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Firmen sollen mehr für Biodiversität tun
Aus Wissenschaftsmagazin vom 18.01.2014. Bild: Keystone
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Natur & Tiere Appetit auf Artenvielfalt

Die natürliche Vielfalt ist unter Druck: Viele Tier- und Pflanzenarten sind bedroht oder schon verschwunden, genauso wie Lebensräume. Nun wollen Wissenschaftler die Unternehmen dazu bringen, mehr für die Biodiversität zu tun.

Auf den ersten Blick ist bei vielen Unternehmen unklar, was ihre Geschäfte mit der natürlichen Vielfalt zu tun haben. Zum Beispiel eine Bank? Auf den zweiten Blick aber zeigen sich Zusammenhänge. Vielleicht investiert das Geldhaus in eine Mine, die das Wasser eines benachbarten Flusses verschmutzt; oder in eine Papierfabrik, die Holz aus kahl gerodeten Wäldern verarbeitet.

«Trotzdem gibt es erst wenige Banken oder Anlagefirmen in der Schweiz, die schon gezielt darauf achten, mit ihren Geschäften die Biodiversität nicht zu schädigen», sagt Daniela Pauli vom Forum Biodiversität Schweiz. In anderen Branchen sei das Bild ähnlich: «Das Thema Nachhaltigkeit ist zwar bei vielen Firmen angekommen», sagt Pauli. Zum Beispiel achteten sie auf fairere Arbeitsbedingungen in ärmeren Ländern oder auf den CO2-Ausstoss. Aber die natürliche Vielfalt habe es schwerer.

Klinken putzen für die Umwelt

Darum hat Pauli letzte Woche in Bern den Kongress «Biodiversität und Wirtschaft» organisiert, um Wissenschaftler und Unternehmer zusammenzubringen. Das Treffen soll den Dialog intensivieren und so konkrete Projekte anbahnen. «Wir Wissenschaftler sollten uns nicht zu schade sein, bei den Unternehmen die Klinken zu putzen, um für unsere Ideen immer wieder zu werben», sagt Markus Jenny, Biologe von der Vogelwarte Sempach.

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Sozusagen als Appetitanreger haben einige Firmen und Forscher Projekte präsentiert, mit denen sie schon heute etwas für die Biodiversität tun. Die Vogelwarte Sempach zum Beispiel hat mit der Migros zusammen gespannt und das Label Terrasuisse für Fleisch, Gemüse und andere Lebensmittel entwickelt. Auf den Schweizer Äckern geht die Biodiversität seit Jahren zurück – da soll Terrasuisse Gegensteuer geben.

Win-Win-Situation

Will ein Bauer für Terrasuisse produzieren, muss er beispielsweise Hecken pflanzen, Blumenwiesen anlegen oder Brachen. Die Vogelwarte hat das Programm erarbeitet und sie hat dafür einen Baukasten von Massnahmen zusammengestellt. Je nachdem, was der Bauer daraus wählt, bekommt er eine bestimmte Anzahl Punkte. Um bei Terrasuisse dabei zu sein, muss er eine Minimalpunktzahl erreichen. «Wenn ein Bauer viele solche Ökoflächen anlegt, dann fördert dies die Artenvielfalt», sagt Markus Jenny, «das haben Untersuchungen gezeigt.»

Der Bund schreibt den Bauern zwar ähnliche Massnahmen vor, wenn sie Direktzahlungen erhalten wollen. Aber viele Landwirte wissen zu wenig über Biodiversität und platzieren die Ökoflächen so, dass sie der bedrohten Feldlerche oder dem raren Wasserfrosch nichts bringen. Terrasuisse-Bauern jedoch werden beraten. «Viele Bauern haben danach sogar noch mehr gemacht, als wir ihnen nahegelegt haben», sagt Markus Jenny. Die Bauern hätten auch bemerkt, dass sie mit mehr Ökoflächen auch mehr Direktzahlungen vom Bund erhalten können. «Eine Win-Win-Situation für Bauern und Umwelt.»

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Mit Öko gegen die Konkurrenz

Ursprünglich wollte die Vogelwarte das Punktesystem für Ökoflächen erst sorgfältig wissenschaftlich testen, bevor sie es einem Grossverteiler schmackhaft machen würde. Doch bevor es soweit war, klopfte die Migros an. Sie wollte das System sofort einführen, weil die Discounter Aldi und Lidl zum Sprung in die Schweiz ansetzten und die Migros Wege suchte, um ihre Produkte von der Konkurrenz abzuheben. Naturschutz schien eine gute Strategie. «Diese Eile war für uns Forscher etwas überraschend», sagt Markus Jenny. «Aber es war auch enorm spannend, weil wir nicht jahrelang warten mussten, um unsere Ideen in der Praxis umzusetzen.»

Ein Glücksfall, findet Markus Jenny, aber nicht alle Forscher sind gleicher Meinung: «Manchen Wissenschaftlern gefällt nicht, dass man manchmal stark vereinfachen muss, um ein Projekt umsetzen zu können.» Es braucht also nicht nur einen intensiveren Dialog zwischen Wirtschaft und Wissenschaft, selbst innerhalb der Wissenschaft müssen sich verschiedene Lager verständigen, nennen wir sie die Praktiker und die Anhänger der reinen Lehre. Der Kongress «Biodiversität und Wirtschaft» in Bern hat dafür einen Anfang gemacht.

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