SRF: Das World Web Forum findet dieses Jahr unter dem Motto «End of Nation» statt. Rufen Sie das Ende des Nationalstaates aus?
Fabian Hediger: Wir vom World Web Forum sehen uns als Kuratoren – wir selbst sind nicht diejenigen, die diese Thesen vertreten. Wir spüren aber, dass das Thema in der Luft liegt, in der Software-Industrie und in der Wissenschaft.
Was genau liegt in der Luft?
Es geht um Entscheidungen und um Kompetenzen, die Wirtschaft und Politik betreffen. Mit zunehmender Digitalisierung müssen Unternehmen nicht nur die Gesellschaft hinter sich bringen, sondern auch die Regierungen.
Die Nationen hingegen müssen sich meiner Ansicht nach überlegen, ob die aktuellen Regulierungen für Unternehmen noch zeitgemäss sind oder schon Ideen abwürgen. Entweder man versucht zu regulieren – oder man baut darauf, dass in einer digitalisierten Welt Staat, Gesellschaft und Unternehmen in Freiheit am besten prosperieren.
Wo spiegelt sich die These vom «Ende der Nation» am deutlichsten wider?
Einerseits gehen viele Konzerne wie Apple oder Tesla von einer planetarischen Zivilisation aus, sie denken weniger in Landesgrenzen. Elon Musk möchte mit SpaceX den Mars besiedeln – und wenn man zum Mars will, denkt man nicht mehr an globale Konflikte, an die USA, Russland oder Nordkorea! Grosse Probleme müssen Nationen gemeinsam lösen.
Google weiss viel besser als der Staat, was jeder Schweizer will.
Andererseits wurden durch das Internet Prozesse ausgelöst, die mögliche Schwächen im heutigen System aufzeigen. Ist die Demokratie noch schnell genug für die heutige Zeit?
Google weiss unterdessen anhand der Daten, die gesammelt werden, viel besser als der Staat, was jeder Schweizer will. Bundesrat Johann Schneider-Ammann wird in seiner Rede am World Web Forum hingegen betonen, wie wichtig die Rolle ist, die der Staat im digitalen Wandel weiterhin einnimmt.
Das Forum begann als Ort für Programmierer und Entwickler – heute ist es eine Business-Konferenz. Was ist passiert?
Das World Web Forum entstand aus einer Kooperation mit einer Firma im Silicon Valley. Ich sah frappante Unterschiede im Verhalten der Firmen an beiden Orten, etwa bei der Unternehmensstrategie. Ich fragte mich: Wie kann es sein, dass Unternehmen im Silicon Valley so viel stärker wachsen als hier?
Wir brauchen am World Web Forum Branchenvertreter, die über Entscheidungsmacht verfügen.
So haben wir eine «Selbsthilfegruppe» von 15 Leuten für den Austausch zwischen der Schweiz und Kalifornien gebildet und der Anlass ist einfach immer grösser geworden. Zu Beginn lockten wir vor allem Entwickler an. Da wurde uns bewusst: Entwickler verstehen zwar am meisten vom Thema, können aber häufig nur wenig verändern. Wir brauchen am World Web Forum Branchenvertreter, die über finanzielle Mittel und Entscheidungsmacht verfügen.
Das zeigt sich auch an den eingeladenen Sprechern, es sind Vertreter aus Industrie, Wissenschaft und Politik. Was haben diese Menschen gemein?
Bisher luden wir vor allem Menschen ein, die mit ihren Unternehmen und Teams Besonderes im digitalen Umfeld erreicht haben. Die meisten von ihnen stammen aus dem sogenannten «Neuen Paradigma». Darunter verstehen wir eine neue Art der Unternehmenskultur. Im Zentrum stehen Konzepte wie Flexibilität, flache Hierarchien und Unternehmergeist.
Dieses Jahr binden wir zum ersten Mal auch Akademiker ein. Es gibt eine Bewegung von wissenschaftlichen Koryphäen, die aus dem Neuen Paradigma entstanden und mit dem Silicon Valley gewachsen ist.
Immer mehr Menschen werden abgehängt und verlieren den Zugang zum technischen Wandel.
Bietet die Schweiz mit Instituten wie der ETH oder der EPFL einen Nährboden für die digitale Industrie?
Die eidgenössischen technischen Hochschulen geniessen weltweit höchsten Respekt, sie zählen zu den besten überhaupt. Ich denke, das Problem bei uns ist nicht die Innovationskraft, sondern das fehlende Unternehmertum. Der Röstigraben ist winzig im Vergleich zum digitalen Graben! Immer mehr Menschen werden abgehängt und verlieren den Zugang zum technischen Wandel. Das ist eine Frage des «Mindset», der Mentalität .
Und Sie versuchen mit dem World Web Forum, diesen digitalen Graben zu überwinden?
Ja, klar! Indem wir Persönlichkeiten aus der digitalen Industrie nach Zürich bringen und sie mit der Schweizer Wirtschaft vernetzen.
Wird von den grossen Internet-Konzernen gesprochen, ist die Rede meist vom Silicon Valley, von Kalifornien. Weshalb ist das World Web Forum in der Schweiz am besten aufgehoben?
Die Räume in Kalifornien sind jahrelang ausgebucht, da gibt es jeden Tag hunderte solcher Konferenzen (lacht)! Wir sehen uns aber als europäische Konferenz – und als Business-Konferenz, nicht als Technologie-Konferenz.
Die zentrale Frage bei uns ist: «Was muss ich heute machen, damit ich morgen erfolgreich bin»? Es geht also um Leadership im Neuen Paradigma. Dafür ist die Schweiz für mich der richtige Ort, mit ihrer Geschichte, der neutralen Politik, den ansässigen internationalen Organisationen, mit dem WEF in Davos.
Das Gespräch führte Felix Bartos.