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Astronaut Claude Nicollier «Die eigene Zerbrechlichkeit wird einem bewusster»

Freude herrschte, als Claude Nicollier 1992 als erster Schweizer den Weltraum bereiste. Er blieb bis heute der einzige. Der Astronaut, Astrophysiker und EPFL-Professor erklärt, wie sich 1000 Stunden im Weltall anfühlen und weshalb eine bemannte Reise zum Mars extrem riskant ist, aber längerfristig unsere Existenz sichern könnte.

Claude Nicollier

Astronaut, Astrophysiker und EPFL-Professor

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Claude Nicollier (*1944) studierte in Lausanne und in Genf Physik und Astrophysik und liess sich später zum Linienpiloten ausbilden. Der gebürtige Waadtländer forschte später bei der ESA, wo er sich als Raumfahrer bewarb. Nicollier wurde für die erste ESA-Astronautengruppe ausgewählt und flog mit vier verschiedenen Raumfähren viermal ins All. Er ist der erste Schweizer, der den Weltraum bereiste. Seit über zehn Jahren lehrt Nicollier als Professor an der ETH in Lausanne.

SRF: Die Wissenschaft träumt mehr denn je wieder von den grossen Expeditionen im Weltall. Etwa von einer Reise zum Mars. Wie nah ist der Mensch diesem Ziel?

Claude Nicollier: Bemannte Flüge zum Mars werden wahrscheinlich nicht vor den 30er- oder 40er-Jahren dieses Jahrhunderts stattfinden. Die grösste Herausforderung wird die Exposition der Crew gegenüber der kosmischen Strahlung sein – während der Reise zum roten Planeten, aber auch auf der Marsoberfläche selbst.

Es müssten richtige Strahlungsabschirmungen auf dem Crew-Fahrzeug von der Erde zum Mars installiert werden. Vermutlich müsste man auch für längere Marsaufenthalte unterirdische Siedlungen bauen.

Wieso sollen wir überhaupt Menschen zum Mars schicken – und nicht Roboter?

Es liegt in der Natur des Menschen, körperlich an herausfordernde Orte zu gehen und die Risiken dafür zu bewältigen. Wir schicken auch keine Roboter zu den gefährlichen Gipfeln des Himalaya. Leute gehen dort hin!

Es ist aufregend, gefährlich und hart. Es ist aber von grossem Interesse, die Möglichkeit zu erforschen, für längere Zeit auf anderen Himmelskörpern zu leben.

Der menschliche Körper passt sich der Raumumgebung und Schwerelosigkeit sehr gut an.

Wenn wir zum Schluss kämen, dass es unter einigermassen guten Bedingungen machbar ist, könnte dies darauf hindeuten, dass es in ferner Zukunft mehr Möglichkeiten für menschliche Siedlungen gibt. Mehr Optionen bedeuten eine längere Überlebenswahrscheinlichkeit der menschlichen Spezies.

Wären Sie gerne an Bord einer Mars-Mission dabei?

Ja, liebend gerne!

Eine Reise zum Mars bedeutet mehr als 300 Tage Anreise – eine lange Zeit für den Menschen in einem für ihn unnatürlichen Habitat. Wie lange hält man es überhaupt aus, im Weltall zu leben?

Der menschliche Körper passt sich der Raumumgebung und Schwerelosigkeit sehr gut an. Der menschliche Geist weniger, ausser für kurze Missionen. Nach sechs Monaten in der Internationalen Raumstation sind Astronauten und Kosmonauten wirklich froh, wieder auf der Erde zu sein. Es wird anders sein, wenn wir Missionen zu weit entfernten Zielen wie zum Mars machen.

Ich bin mir aber sicher, dass die Aufregung, eine völlig neue Welt zu entdecken, die Weltraumforscher noch für eine lange Zeit glücklich machen und motiviert halten wird.

Claude Nicollier
Legende: Claude Nicollier ist der erste und einzige Schweizer, der den Weltraum bereist hat. Keystone

Sie waren zwischen 1992 und 1999 auf verschiedenen Weltraummissionen. Wie haben sie sich – abgekapselt von der Erde – gefühlt?

Die auffälligsten Empfindungen zu Beginn einer Weltraummission ist die Schwerelosigkeit auf der einen Seite und die schnelle Abfolge von Tag und Nacht auf der anderen Seite; wir erlebten eine Stunde Tag und 30 Minuten Nacht, 16-mal pro Landtag!

Eine Raumkapsel bildet quasi eine Replik vom normalen Leben – mit Luft, Wasser, Essen. Was haben sie trotzdem vermisst?

Meine Missionen waren stets kurz – normalerweise zehn bis zwölf Tage. Da wir viel zu tun hatten, gab es nicht viel Zeit darüber nachzudenken, was man vermisst. Familie, Freunde, Blumen, Bier oder eine frische Pizza … Was auch immer ich vermisste, es war nur für kurze Zeit!

Seit ich im Weltraum war, mache ich mir mehr Sorgen um die Nachhaltigkeit der Erde.

Wie sehr darf man als Astronaut «Mensch» sein, und wie sehr funktioniert man als «Maschine»?

Ich hatte nie das Gefühl, während meiner Weltraummissionen wie ein Roboter oder eine Maschine zu sein. Wir waren Menschen mit einer Leidenschaft für das, was wir taten. Wir hatten einen guten technischen Hintergrund über unser Raumschiff und die Verantwortung, die Mission so fehlerfrei wie möglich durchzuführen.

Der persönliche Kontakt mit Kollegen war immer sehr gut, mit totalem Vertrauen und gegenseitigem Respekt. Sex und Unterhaltung waren nicht nötig – aber eben, meine Mission war kurz!

Allein bei ihrer ersten Space-Shuttle-Mission hatten sie die Erde 136 Mal umrundet. Wie ist es, die Erde als «Ganzes» zu sehen?

Seit ich im Weltraum war und unseren Planeten in seiner Globalität gesehen habe, mache ich mir mehr Sorgen um die Nachhaltigkeit der Erde. Die eigene Zerbrechlichkeit wird einem bewusster.

Sie sind der bislang einzige Schweizer, der im Weltall war. Wieso gibt’s in der Schweiz nicht mehr Astronautennachwuchs?

Das ESA-Astronautenkorps ist klein. Ungefähr 15 Leute sind dabei, es braucht zurzeit schlicht nicht mehr. Bei der ESA (European Space Agency) gibt es insgesamt 22 Mitgliedstaaten, aber nicht jeder Mitgliedstaat hat einen «eigenen» Astronauten.

Es gibt zwar viele talentierte und gesunde junge Männer und Frauen in der Schweiz, die qualifiziert sind, aber es gibt keinen Platz für sie. Ich hoffe, dass es in Zukunft ESA-Astronauten oder zumindest einen Schweizer geben wird. Aber ich denke leider nicht, dass das sehr bald sein wird.

Das Gespräch führte Kathrin Hönegger.

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