Ein Forscher sagt, er habe wohl Dunkle Materie gefunden. Doch die Studie hält nicht, was die Schlagzeilen versprechen. SRF-Wissenschaftsredaktor Sandro Della Torre ordnet ein.
Warum die Aufregung?
Eine neue Studie eines Forschers der Universität Tokio, Tomonori Totani, sorgt für Schlagzeilen. Die Rede ist von einem Durchbruch bei der Suche nach Dunkler Materie – so lässt sich der Forscher in den Medien zitieren. Internationale Medien nahmen die Meldung prominent auf. Ein Durchbruch bei der Suche nach Dunkler Materie wäre sensationell. Seit über 90 Jahren sucht die Forschung danach.
Was ist dunkle Materie?
Es ist eine mysteriöse Form von Materie. Niemand weiss, was Dunkle Materie genau ist. Aber die Forschungswelt ist sich ziemlich sicher, dass es sie gibt, denn sie beeinflusst das Universum durch die Schwerkraft. Es gibt schätzungsweise fünfmal mehr Dunkle Materie als herkömmliche Materie im Universum.
Was liefert die neue Studie?
Ein Forscher der Universität Tokio, Tomonori Totani, behauptet: Nun könne man möglicherweise zum ersten Mal Dunkle Materie «sehen». Er hat Daten des satellitengestützten Fermi-Teleskops der NASA analysiert. Ihn interessiert eine bestimmte Art Strahlung, die aus dem Zentrum der Milchstrasse kommt, sogenannte Gammastrahlung. Das sind Lichtteilchen mit sehr hohen Energien, sodass sie für das menschliche Auge unsichtbar sind. Es gebe deutlich mehr dieser Strahlung, als zu erwarten sei. Totani behauptet, Dunkle Materie produziere einen Teil der Gammastrahlung – dann nämlich, wenn zwei Dunkle-Materie-Teilchen aufeinanderprallen. Durch verschiedene Berechnungen versucht er, die These zu stützen.
Welche Einwände gibt es?
Die Behauptung, dass die Gammastrahlung von Dunkler Materie stammt, muss nicht zwingend falsch sein, aber die Studie liefert keine ausreichenden Beweise dafür. Der Forscher aus Tokio räumt in der Studie selbst ein, dass es auch mögliche andere Erklärungen für die Lichtblitze gibt. Zudem würden Messdaten von anderen Galaxien seiner Schlussfolgerung widersprechen. Ohnehin ist schon seit über einem Jahrzehnt bekannt, dass überraschend viel Gammastrahlung aus dem Zentrum der Milchstrasse kommt. Andere Forschende aus dem Fachgebiet betonen, dass diese Region noch nicht abschliessend erforscht sei. Es sei gut möglich, dass eine altbekannte Lichtquelle unterschätzt werde.
Wie kam es trotzdem zu den grossen Schlagzeilen?
Dafür dürfte die Universität Tokio mit ihrer Pressemitteilung gesorgt haben. Schon der Titel beschwört einen historischen Durchbruch herauf: «Nach fast hundert Jahren haben Forschende nun wohl Dunkle Materie gefunden», heisst es. Der Forscher wird in der Mitteilung mit Aussagen zitiert, die deutlich spektakulärer sind als das, was er in seiner Studie schreibt. Viele Medien haben dieses Framing übernommen.
Wo stehen wir bei der Suche nach Dunkler Materie?
Die Suche geht weiter. Noch immer fehlt ein Experiment, um das Rätsel zu knacken. Es gibt mehrere Theorien dazu, welche Eigenschaften Dunkle Materie besitzt. Deshalb wird in vielen verschiedenen Experimenten danach gesucht – mit kleinen Laborexperimenten, grossen Teilchenbeschleunigern und Weltraumteleskopen. Klar scheint: Dunkle Materie dürfte, abgesehen von der Schwerkraft, nicht oder kaum mit anderer Materie interagieren. Sonst hätte die Forschung sie wohl schon längst gefunden.