Zum Inhalt springen
Audio
Neutrinos – Wie man die Geisterteilchen sichtbar macht
Aus Wissenschaftsmagazin vom 10.05.2024. Bild: KEYSTONE/SCIENCE PHOTO LIBRARY/Nicolle Rager Fuller
abspielen. Laufzeit 8 Minuten 4 Sekunden.

Gigantisches Physik-Experiment Wie man am Südpol «Geisterteilchen» aus dem Kosmos einfängt

Forschende können im dicken Eis am Südpol kaum fassbare Teilchen aus dem tiefen Kosmos detektieren – Neutrinos.

Nicht umsonst gelten Neutrinos als «Geisterteilchen». Abermilliarden dieser winzigen Elementarteilchen rasen jede Sekunde beinahe mit Lichtgeschwindigkeit durch unseren Körper hindurch – ohne Spuren zu hinterlassen.

Denn sie interagieren nur schwach und selten mit anderer Materie. Sie fliegen normalerweise durch alles hindurch, ohne eine Spur zu hinterlassen – ähnlich wie Geister in der Literatur.

Wie man «Geister» fängt

Doch extrem selten passiert es, dass ein Neutrino in einem Atomkern einschlägt. Dieser Einschlag hinterlässt eine Lichtspur. Sie ist der Schlüssel, um Neutrinos zu erkennen, beziehungsweise zu detektieren.

Wer die «Geisterteilchen» in genügend hoher Zahl untersuchen will, braucht ein riesiges Volumen an Material – durchsichtiges Material, dass man die Lichtspuren der Einschläge messen kann.

Neutrino-Experimente gibt es deshalb in riesigen Wassertanks, in der Tiefsee und auch im Eis.

Gigantischer Eiswürfel als Neutrino-Fänger

Eines dieser gigantischen Neutrino-Experimente ist im dicken Eis am Südpol vergraben. In einer Tiefe ab 1,5 Kilometern ist das Eis ausreichend klar, um gute Experimente durchführen zu können. Dank des hohen Drucks sind keine Luftbläschen im Eis eingeschlossen. «Eis aus dem Gefrierschrank wäre bei Weitem nicht durchsichtig genug», sagt der Physikprofessor Markus Ackermann des deutschen Forschungsinstituts DESY.

Am Südpol sind 5’000 optische Sensoren im Eis versenkt – in einer Tiefe von 1,5 bis 2,5 Kilometern. «IceCube» heisst dieser Neutrino-Detektor, der ein Volumen von einem Kubikkilometer abdeckt.

Neutrinos von weit her

In einer neuen Arbeit konzentrierte sich das internationale Forschungsteam um «IceCube» auf Neutrinos, die von weit her aus dem Weltall kommen, zum Teil über Milliarden von Lichtjahren hinweg.

Woher Neutrinos kommen

Box aufklappen Box zuklappen

Die meisten Neutrinos, die die Erde erreichen, kommen aus der Erdatmosphäre. Dort produziert kosmische Strahlung Neutrinos. Viele weitere Neutrinos entstehen in der Sonne als Nebenprodukt der Kernfusion. Doch ein kleiner Teil kommt von noch weiter her, also unter anderem auch von weit entfernten Galaxien.

Ein Team von der Penn State University um den amerikanisch-schweizerischen Forscher Douglas Cowen wertete ein Jahrzehnt an Daten aus. Die Forschenden suchten Tau-Neutrinos, die mit so hohen Energien einschlagen, dass sie praktisch mit Sicherheit aus dem fernen Weltall kommen. Tau-Neutrinos sind eine der drei bekannten Neutrino-Varianten und verhalten sich laut Cowen im Experiment «wie ein Chamäleon.» Die Einschläge gleichen oft dem Muster einer der beiden anderen Neutrino-Sorten.

Illustration von farbigen Kugeln mit vergrössertem Bereich.
Legende: Visualisierung der Tau-Neutrino Lichtsignale, die mit dem Neutrino-Detektor «IceCube» entdeckt wurden. IceCube/NSF

Mithilfe künstlicher Intelligenz konnten die Forschenden die verschiedenen Einschläge gut unterscheiden. Sie konnten erstmals statistisch beweisen, dass tatsächlich auch Tau-Neutrinos und damit alle drei Neutrino-Sorten von weither zu uns geschossen werden.

Galaktische Teilchenbeschleuniger

In einem nächsten Schritt wollen die Forschenden mehr Daten sammeln, um zu verstehen, was genau diese Neutrinos so stark aus dem Weltall zu uns schleudert. Einige Teilchen erreichen eine zehn-millionenfach höhere Energie, als es am weltweit stärksten Teilchenbeschleuniger am CERN möglich ist.

Noch ist unklar, wie diese galaktischen Teilchenbeschleuniger so hohe Energien erreichen können. Ackermann vermutet dahinter aktive galaktische Kerne, also riesige Schwarze Löcher im Zentrum von Galaxien, die sehr viel Gas und Staub ansaugen, dabei aber auch einen Teil der Materie mit hohen Energien wieder wegschleudern.

Douglas Cowan hofft, dass in etwa 15 Jahren diese Fragen zumindest zum Teil beantwortet sind, auch dank einem künftig noch grösseren Neutrino-Fänger am Südpol.

Wissenschaftsmagazin, 10.05.2024, 12:40 Uhr

Meistgelesene Artikel