Es ist ein kalter Märzmorgen im Jahr 1989. Draussen herrschen minus 13 Grad, als die kanadische Stadt Montréal erwacht. Die Häuser bleiben kalt, nachts ist die Heizung ausgefallen. Kein Licht, kein Strom. Die U-Bahn fährt nicht, Geschäfte und Schulen bleiben geschlossen. Der Stromausfall dauert über neun Stunden, sechs Millionen Menschen sind betroffen.
In der Nacht hat ein Sonnensturm die Erde getroffen. Es ist zu schnellen Schwankungen im Magnetfeld gekommen. Dies hat starke Ströme im Stromnetz der kanadischen Provinz Québec verursacht, an Transformatoren sind unregelmässige Ströme bis zu 110 Ampere gemessen worden. Die Störungen haben innert 90 Sekunden zum Blackout in der ganzen Provinz geführt.
Die 1000 km/s-Plasmawolke
Wenn es auf der Sonne zu Explosionen kommt, können riesige Plasmawolken ins All geschleudert werden, die Geschwindigkeiten von über 1000 Kilometer pro Sekunde haben. An etwa 30 Tagen im Jahr trifft uns eine solche Plasmawolke. Meistens bemerken wir das nur, weil es wunderschöne Polarlichter gibt.
Trifft die Plasmawolke auf das Erdmagnetfeld, wird es stark verformt und es kommt zu starken Schwankungen im Magnetfeld bei uns, was Ströme in Stromleitungen verursacht.
Das funktioniert gleich wie bei einem alten Fahrrad-Dynamo: Im Dynamo ist ein Magnet umgeben von einem gewickelten Draht, einer Spule. Der Magnet wird vom Rad gedreht und verursacht so eine Stromspannung im Draht. Der Effekt wird «Induktion» genannt.
Wenn das Erdmagnetfeld Schwankungen hat, verursacht dies ebenfalls eine Stromspannung durch Induktion in Stromleitungen. Gefährdet sind lange Überlandleitungen, die in Nord-Südrichtung verlaufen. Am stärksten ist der Effekt in Leitungen in der Nähe der magnetischen Pole, also beispielsweise im hohen Norden Europas.
Schweiz ist indirekt betroffen
Das Schweizer Stromnetz wäre davon kaum betroffen, zeigen Studien der ETH. Die Leitungsabschnitte unserer Stromleitungen sind kurz und wir liegen zu weit südlich. Allerdings würden wir indirekte Auswirkungen spüren, denn in Nordeuropa käme es möglicherweise zu Stromausfällen, die zu einem europäischen Stromengpass führen würden.
Studien für die USA zeichnen hingegen ein düsteres Szenario: Ein grosser Sonnensturm könnte in Hochspannungsleitungen rund 300 Transformatoren zerstören – sie würden überhitzt und regelrecht durchbrennen. In Nordamerika wären 130 Millionen Menschen plötzlich ohne Strom. Die Trafos liessen sich nicht reparieren, sie müssten ausgetauscht werden, was Monate dauern könnte.
Ausfall von Navis und Mobiltelefonen
Durchaus betroffen wären die Kommunikationssysteme in der Schweiz. Durch einen Sonnensturm können Satelliten gestört werden und Funkverbindungen fallen aus. Navigationssysteme können nicht mehr richtig arbeiten.
Am 7. November letzten Jahres haben die Flughäfen in Nordskandinavien ihr satellitengestütztes Anflugsystem abgestellt, weil die Sonne stürmte. Damals war die Schweiz nicht betroffen, doch würde uns ein starker Sturm treffen, wäre auch der Flugverkehr in der Schweiz unterbrochen.
Und nicht nur das: Die Mobiltelefonie würde gestört und der elektronische Zahlungsverkehr würde teils unterbrochen, weil die Satellitenkommunikation ausfällt. In einer Risikoanalyse aus dem Jahr 2020 berechnet das Bundesamt für Bevölkerungsschutz Babs den wirtschaftlichen Schaden eines grossen Sonnensturms für die Schweiz auf 1.5 Milliarden Schweizer Franken.
Faszinierend schön: Polarlichter
Sonnensturm-Prognose missachtet
Besonders eindrücklich zeigte sich die Gefahr der Sonne im Februar 2022. Damals zerstörte ein Sonnensturm 40 Satelliten des Starlink-Netzwerks, das weltweiten Internetzugang bieten soll. Trotz angekündigtem Sonnensturm setzte eine Rakete 49 neue Starlink-Satelliten auf einer Höhe von 220 Kilometern im All aus. Von dort sollten sie mit ihren Ionentriebwerken selber auf die endgültige Bahn auf 500 Kilometer über der Erde steigen.
Aber noch bevor sie aufsteigen konnten, traf der Sonnensturm auf die Erde. Die Plasmawolke traf auf die oberen Schichten der Atmosphäre, erwärmte sie und die Atmosphäre dehnte sich aus. Um die Satelliten war plötzlich dichtere Luft, sie erfuhren mehr Reibung, was sie abbremste. Zentrifugalkraft und Erdanziehungskraft kamen aus dem Gleichgewicht, die Satelliten wurden Richtung Erde gezogen und verglühten. Schaden: 50 Millionen US-Dollar.
Ein verheerender Sonnensturm trifft uns zum Glück selten. Experten der «US Geological Survey» berechneten, dass ein verheerender Sonnensturm statistisch einmal in 500 Jahren auftritt.