«Ignition and... Liftoff!» tönt es im Mission Control Center. Es liegt mitten in der Schweiz, in der ehemaligen Festung tief im Gotthardmassiv. Auf dem Bildschirm startet die Rakete zum Mond – an Bord sechs junge Astronautinnen und Astronauten, die für zwei Wochen auf einer Mondbasis leben werden.
So zumindest könnte es sein. Denn dieser Raketenstart ist eine Simulation, und statt mit der Rakete machen sich die Raumfahrenden zu Fuss auf den Weg zur Mondstation. Durch lange feuchte unterirdische Gänge gelangen sie zur Schleuse zwischen Aussenwelt und Mondstation, dem Airlock. Sobald sich die Tür hinter ihnen schliesst, beginnt ihre zweiwöchige Isolation.
Für Felix von Horstig ein sehr emotionaler Moment. Schon als Kind träumte er davon, Astronaut zu werden. Er studierte Quantenmechanik. Lernte Leute kennen, die in der Raumfahrt tätig sind, und aus dem Traum wurde ein Ziel: Er bewarb sich für die simulierte Analog-Mission Asclepios .
Nach einem langen Auswahlverfahren und vielen Trainings setzte er sich gegen Hunderte von Mitbewerbern aus der ganzen Welt durch und wurde sogar zum Leiter des internationalen Expeditions-Teams ernannt. Vor dem Start schwört er die Teammitglieder auf die kommenden Wochen ein. «Es herrscht eine Aufbruchstimmung. Es ist ein unglaublicher Moment, auf den wir seit zwei Jahren hingearbeitet haben», sagt von Horstig.
Zwei Wochen in totaler Isolation
Mit dem Verschliessen der Airlock-Türe beginnt die Mission offiziell. Ab jetzt werden die vier Astronautinnen und zwei Astronauten das Tageslicht nur noch durch die Helme ihrer Raumanzüge bei Ausseneinsätzen sehen.
Sie haben ein strenges Programm: 14 Experimente führen sie für Hochschulen und Institutionen auf der ganzen Welt durch. Diese nutzen die analoge Mission für Feldtests unter extremen Bedingungen, welche physisch ähnlich sind wie im Weltraum.
Die Experimente decken vor allem zwei Aspekte ab: Einerseits das Testen von Systemen und Produkten, die für einen späteren Einsatz im All konzipiert sind. Andererseits das Sammeln von psychologischen und physiologischen Daten, um herauszufinden, wie sich verschiedene Bedingungen wie Isolation, Stress und Enge auf Körper und Geist auswirken können. «Wir werden bei diesen Experimenten von Professoren und Expertinnen geführt. Sie haben uns die Materialien und genaue Anweisungen mitgegeben, wie die Experimente auszuführen sind», erklärt von Horstig.
Genau so würden auch Experimente auf der internationalen Raumstation ISS durchgeführt. Protokolle und Materialien werden über die Weltraumgesellschaften zur ISS geschickt, wo die Experimente dann anhand dieser Angaben durchgeführt werden.
Möglichst realistische Simulation
Das Mondteam stellt sich vor eine Kamera und winkt den Kolleginnen und Kollegen in der «Bodenstation» zu, dem Missionskontrollzentrum. Dieses ist zwar nur wenige hundert Meter von der «Mondstation» entfernt, doch eine künstliche Verzögerung der Signalübertragung um 2,5 Sekunden simuliert die Distanz zum Mond. Und die Entfernung fühlt sich real an.
Für den Rest der Mission haben die Mitglieder des Mondteams nur noch sehr eingeschränkten Kontakt zur Aussenwelt. Zwar kommunizieren sie täglich mit dem Kontrollzentrum, aber immer nur strikt nach Protokoll im Rahmen der Mission. Gespräche mit Freunden und Familie sind auf insgesamt viermal 30 Minuten während der ganzen zwei Wochen beschränkt. «So wenig Kontakt ist schon schwierig», räumt Felix von Horstig ein, «aber auch das ist Teil der Simulation. Wir versuchen, die Erfahrungen von Astronauten bei echten Missionen so genau wie möglich nachzuahmen.»
Um eine künftige Mondbasis zu simulieren, ist auch die ehemalige Bunkeranlage mit ihren Stollen und Kavernen ideal. Denn auf dem Mond existieren Lavatunnel. Sie könnten die Forschenden vor gefährlicher Strahlung und extremen Temperaturen schützen.
Strikter Tagesablauf
Der ganze Tag folgt einem klar strukturierten Zeitplan aus Schlafen, Essen, Sport und vor allem den Experimenten.
Vom Kontrollzentrum wird die gesamte Mission überwacht und geleitet. Dutzende von Studierenden arbeiten hier rund um die Uhr im Schichtbetrieb. Alle haben ihre spezifische Aufgabe. Die Medizinstudentin Jessica Studer ist verantwortlich für die Gesundheit der Besatzung und für die medizinischen Experimente der Mission. Auch sie war schon immer von der Weltraumforschung fasziniert und kann nun mit dem Projekt Asclepios erste Erfahrungen im Weltraumsektor machen.
Letztes Jahr ergatterte sie ein sechsmonatiges Praktikum bei der französischen Raumfahrtagentur CNES. Sie arbeitete für ein Projekt, das zusammen mit der europäischen Weltraumagentur ESA die Grundlagen für eine künftige Weltraumbasis schaffen soll. Dabei konzentrierte sie sich auf die Bereiche Gesundheit und körperliche Leistung.
Experimente für etablierte Raumfahrtorganisationen
Im Rahmen der Asclepios-Mission testet sie nun für die Raumfahrtagentur eine neue Art von Ultraschalluntersuchung, welche keine medizinischen Kenntnisse voraussetzt. Dank Augmented Reality können Astronautinnen oder Astronauten die Ultraschalluntersuche selbständig ausführen. Heute werden solche Untersuchungen auf der ISS via Fernsteuerung von der Erde ausgeführt. Doch bei Missionen auf dem Mond oder gar dem Mars sind ferngesteuerte Systeme wegen der Verzögerungen der Datenübertragung keine Option mehr.
Neben diesem Auftrag entwickelte Jessica Studer ein eigenes Experiment. Die Medizinerin misst die Gehirnaktivitäten der Astronauten im Felsenbunker, während diese kognitive Aufgaben lösen. Die Messungen macht sie vor, während und nach der «Mission», so will sie herausfinden, wie sich die beengte Umgebung und die Isolation auf die Psyche und die Arbeitsleistung auswirken, und ob Stress, Ermüdung und übermässige psychische Belastungen frühzeitig erkannt werden können.
Die Daten bilden die Grundlage für ihre Doktorarbeit und hoffentlich eine Karriere in der Raumfahrtforschung. «Die Raumfahrtorganisationen sind an unseren Daten sehr interessiert, weil es nicht viele Astronauten gibt, mit denen man tatsächlich Messungen machen kann. Bei analogen Missionen aber kann man Experimente durchführen, die den realen Bedingungen im Weltraum sehr nahe kommen.»
An Grenzen gekommen
Felix von Horstig brachte die Isolation auf der analogen Mondstation anfänglich an seine Grenzen. Doch je länger die Mission dauerte, desto besser konnte er damit umgehen. Es entwickelte sich eine Art Routine, sodass er sich zum Schluss der Mission zwar wieder auf ein normales Leben freut, aber die Zeit in der Mondbasis und vor allem die Crew von Studenten aus aller Welt auch vermisst. «Ich bin wirklich überwältigt, wie gut wir zusammengewachsen sind. Es hat schon etwas Schönes, nur mit guten Freunden so intensiv auf einem engen Platz zu leben und zu arbeiten.»
Die analoge Mission hat ihn darin bestärkt, dass er zum Mond will. Und sie hat auch ihn ein Stückchen näher an dieses Ziel gebracht.