Es gibt jedes Jahr viele neue Festivals. Eine der interessantesten Neugründungen in den letzten Jahren waren die Basler Dokumentartage «It’s the Real Thing». 2013 hat der Theaterregisseur Boris Nikitin dieses Festival ins Leben gerufen. Er nahm damit Bezug auf den Trend, dass seit ein paar Jahren das dokumentarische Theater eine der prägenden Tendenzen im freien und internationalen Theaterschaffen darstellt.
Dokumentarische Welterkundungen
In der zweiten Ausgabe weitet das Festival den Blick auch auf andere Künste aus. Es gibt einen Schwerpunkt mit Filmen von Joshua Oppenheimer, der mit seinem Dokumentarfilm «The Act of Killing» einen Meilenstein des dokumentarischen Films geschaffen hat.
Ausserdem hat Boris Nikitin das «Museum of Broken Relationsships» aus Zagreb eingeladen, seine Sammlung in Basel zu zeigen. Das Künstlerpaar Olinka Vištica und Dražen Grubišić sammelt seit bald zehn Jahren Objekte, die von gescheiterten Beziehungen erzählen. Gegen 2000 Objekte und die dazugehörigen Geschichten haben sie zusammengetragen.
In Zagreb füllen sie damit ein eigenes Museum. Von dort aus zeigt das Künstlerpaar Teile der Sammlung auf der ganzen Welt, sie wächst an jedem Ort, auch in Basel werden neue Objekte und Geschichten dazu kommen.
Universelle Geschichten des Privaten
«Dieses Projekt ist für mich zentral für die diesjährige Ausrichtung des Festivals, weil es persönlichen Erlebnissen eine Stimme gibt. Dieser Akt der Selbstveröffentlichung, des Mit-Teilens interessiert mich», erklärt Boris Nikitin sein Konzept.
Im Kern gehe es ihm um die Frage: Was ist Wirklichkeit? Was ist Öffentlichkeit? Und Nikitin geht noch einen Schritt weiter: «Das Coming-out ist vielleicht eine der Grundstrukturen des dokumentarischen Schaffens.»
Protestchor gegen veraltete Frauenbilder
Den Auftakt zum Festival macht ein 25-köpfiger Frauenchor aus Polen, den die junge Musikerin und Regisseurin Marta Górnicka vor einigen Jahren gegründet hat.
Für «Magnificat» dirigiert sie eine formal strenge Komposition aus persönlichen Statements, Medienberichten und Texten von Elfriede Jelinek und Euripides zu einem Protestchor gegen veraltete Frauenbilder. Beeindruckend daran ist, dass die Frauen in ihrer Unterschiedlichkeit ebenso sichtbar bleiben, wie ihre Kraft als feministischer Klangkörper hörbar wird.
Aus persönlichen Geschichten schöpfen
Auch wenn alle Arbeiten des Festivals ganz direkt aus persönlichen Geschichten, Emotionen und Erlebnissen schöpfen, sind sie künstlerisch sehr klar geformt. Zeichnet das das aktuelle dokumentarische Theater aus?
Boris Nikitin lacht: «Ich wünsche mir, dass möglichst viele Zuschauer und Zuschauerinnen sich genau diese Frage stellen während des Festivals. Ist das dokumentarisches Theater? Ich bin mir auch nicht bei allen Produktionen und Projekten sicher, wie ich sie beschreiben würde. Genau das zeichnet sie für mich aus.»