Ich habe gelesen, Sie hätten 1989 in Deutschland alle Ihre Konzerte auf Deutsch gegeben. Sie sprechen also Deutsch?
Laurie Anderson: Ich kann gut so tun als ob. Und ich verstehe ziemlich viel von dem, was ich sage. Aber ich könnte nicht frei sprechen – nicht ein Wort.
Mir geht es um den Sound. Da sind sich das Deutsche und Englische ziemlich nahe. Ich habe eben die italienische Synchronfassung für meinen Film «Heart of a Dog» gesprochen.
Italienisch ist das reinste Belcanto – da geht die Stimme ständig rauf unter runter. Das Deutsche ist weniger melodiös – ausser an der Türe.
Bitte?
Deutsche Gespräche verlaufen eher monoton – aber in der Nähe von Türen tönt es plötzlich so: (singt) Wieder-Sehen. Danke-Schön. Das muss etwas mit dem Kommen und Gehen zu tun haben.
Das muss ein soziales Phänomen sein.
Alles ist sozial, oder nicht? Vor allem die Sprache.
Ihr Projekt «The Language of the Future» ist für mich eine Art synästhetische Langzeitstudie über die Sprache. Und über die Möglichkeiten des Erzählens, dessen lineare Struktur Sie dauernd sprengen. Erzählen wir heute anders als unsere Vorfahren?
Meine Art des Erzählens finden Sie doch schon in der «Ilias» oder «Odyssee» von Homer. Und in «Moby Dick» von Herman Melville. Ich habe ja nie richtig verstanden, warum mir da die Hauptfigur Captain Ahab als so bühnenhafte, irgendwie unechte Figur vorkam.
Mittlerweile weiss ich, warum er sich wie ein Fremdkörper anfühlt: Weil Melville die Figur erst später dazu erfunden hat. In der ersten Fassung gab es keinen Captain Ahab.
War das eher ungebrochen geradlinige Erzählen, das die «Great American Novel» sich auf die Fahne schreibt, immer schon ein Mythos?
(seufzt) Ich denke, so ziemlich alles ist ein grosser Mythos. Ich bin ja nicht mal sicher, ob Sie wirklich hier sind. Oder ob ich hier bin. Ich hätte das vielleicht früher erwähnen sollen. Denn ich glaube, wir sind nicht hier. In unserer Wahrnehmung liegt viel Täuschung, Projektion und Erinnerung.
Wie verändert sich die politische Sprache in Amerika in Zeiten, in denen ein Donald Trump so viel zu Wort kommt?
In den letzten drei Wochen hat sich noch einmal alles verändert. Die Zeitungsschlagzeilen sind voller Wörter, die man vorher nicht zu drucken gewagt hätte. Donald Trump hat die Sprache auf eine sehr brutale Art verändert: indem er die einfachsten Klischees bedient.
Schockierend.
Ja. Aber in den sozialen Medien findet dieser Schreiwettkampf schon lange statt. Die Leute würden sich das nie ins Gesicht sagen. Aber sie haben kein Problem damit, die schlimmsten Dinge zu twittern, die man sich vorstellen kann.
Aber wie verändert die Sprache das Verhalten? Ziemlich stark, würde ich sagen. Wenn Donald Trump sinngemäss sagt: «Kommt mit euren Waffen an die Wahlurnen.» Wir sind eingeschüchtert.
Wie reagieren Sie als Künstlerin darauf?
Es ist spannend für jemanden, der die Sprache liebt. Der fasziniert davon ist, wie Sprache funktioniert. So viel neues Anschauungsmaterial jeden Tag!
Bob Dylan hat eben den Literaturnobelpreis gewonnen hat. Und wir haben gelernt: Popsongs sind neuerdings ernsthafte Literatur. Einverstanden?
Warum sollen nur offizielle Schriftsteller diesen Preis erhalten können? Eines Tages werden vielleicht Blogger den Literaturnobelpreis gewinnen.
Es gibt wunderbare Songwriter. Leonard Cohen. Lou Reed. Ich mag auch Bob Dylans Texte. Seine Songtexte wahrscheinlich lieber als seine Bücher.
Weshalb?
Seine Memoiren über New York waren voller Fehler! Normalerweise stört es mich nicht, wenn der Stadtplan in einem Buch nicht ganz richtig gezeichnet ist.
In den «Chronicles» wäre es aber wichtig gewesen: Denn Dylan wollte das Bild einer vergangenen Zeit zeichnen.
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Ist es seine Arroganz, wenn er jetzt kein Wort zu der Auszeichnung verliert?
Ich glaube nicht. Er ist wohl so geschockt, dass er nicht weiss, was er sagen soll. Und da sind die heftigen Reaktionen von Leuten, die ihm zu verstehen geben: «Hey, ich bin ein Schriftsteller. Dieser Dylan da, der Songs schreibt – das ist kein richtiger Schriftsteller.» Mit denen mag er sich wohl nicht herumschlagen.
Man kennt Ihre Multimedia-Arbeiten. Sie sind auch bildende Künstlerin, Komponistin, Lyrikerin, Fotografin, Sängerin und Instrumentalistin. Fühlen Sie sich der Spoken Word-Szene zugehörig?
Klar! Ich mache das seit 40 Jahren. Und die Leute sagen zwar immer: «Warum sprichst du, Laurie? Sing doch deine Songs!» Ich mag aber erzählte Geschichten lieber als wenn jemand etwas vorliest, das er aufgeschrieben hat.
Weil ich den Unterschied höre: Ein vorgelesener Text kann etwas Wunderbares sein. Aber ich will nicht schreiben wie ich rede. Und noch viel weniger Sätze von einer Seite ablesen. Mich hat immer mehr interessiert, wie die Leute reden.