- Der «Nussknacker» ist als liebliches Weihnachtsballett bekannt.
- Tschaikowsky schrieb die Musik nach Vorlage der Märchenversion von Alexandre Dumas. Diese ist kürzer und weniger abgründig als die Original-Geschichte von E.T.A. Hoffmann.
- Das Ballett Zürich unter Christian Spuck arbeitet wieder mit dem Original – und bringt einen ungewohnt unheimlichen «Nussknacker» auf die Bühne.
Egal, wie oft man sich den «Nussknacker» zu Gemüte führt: Warum dieser im beliebten Weihnachtsballett mit Mäusen Krieg führt, bleibt schleierhaft.
Peter Tschaikowsky schrieb seine Musik zur «Histoire d’un casse-noisette» von Alexandre Dumas. Dieser hatte das Märchen von E.T.A. Hoffmann so zurechtgestutzt, dass mehr Zuckerguss als Rache übrigblieb. Das Ballett Zürich nimmt sich nun Hoffmanns abgründigem Original an.
Beliebt, aber keine Herzenssache
1892 findet am St. Petersburger Marientheater eine Uraufführung statt, bei der die Zuschauer wahrlich Sitzleder brauchen. Denn nicht ein Titel steht auf dem Programm, sondern gleich zwei: Die Oper «Jolanthe» und das Ballett «Der Nussknacker».
Beide Stücke komponierte der Russe Peter Tschaikowsky. Sein Herz hing aber nur an einem: am dramatischen Einakter «Jolanthe». «Man kann nachlesen, dass ‹Der Nussknacker› Tschaikowsky nicht sehr viel Spass machte», sagt der Direktor des Zürcher Balletts, Christian Spuck: «Trotzdem: Er war ein wahres Genie, die Musik ist brillant!»
Grossartig auch: Tschaikowskys zuvor komponierter «Schwanensee», der bei der Premiere allerdings durchfiel. Tschaikowsky war deshalb skeptisch, was eine erneute Ballett-Komposition anbelangte.
Heute gehören «Der Nussknacker» und «Schwanensee» zu den bekanntesten und beliebtesten Balletten schlechthin.
Der «Nussknacker» gibt Rätsel auf
Doch der «Nussknacker» ist eine Knacknuss. Denn das Ballettmärchen gibt Rätsel auf. Was hat es mit dem Nussknacker überhaupt auf sich? Und warum muss er gegen eine Mäuseschar kämpfen?
In der Geschichte von Alexandre Dumas, die Tschaikowsky vertonte, bleiben beide Fragen offen. Meist erinnert sich der Zuschauer an ein Weihnachtsfest, bei dem Drosselmeier seinem Patenkind Clara einen Nussknacker schenkt.
Daran, dass Clara in der Nacht vom lebendig gewordenen Nussknacker und ihrer Reise durch das Reich der Zuckerfee träumt. Lieblich, süss, kindergerecht.
Das Original ist düsterer
Alexandre Dumas hat Hoffmanns «Das Märchen von der harten Nuss» gestrichen: Eine Geschichte in der Geschichte, die die oben gestellten Fragen beantwortet.
Unheimlich, diese Geschichte
Dadurch, dass Christian Spuck auf Hoffmanns Version der Geschichte zurückgreift, stellt er Tschaikowskys Komposition völlig auf den Kopf. Er bringt einen «Nussknacker» auf die Bühne, der viel düsterer, abgründiger, unheimlicher ist als das gewohnte Ballett.
Unter dem Wort «unheimlich» versteht Spuck: «das Nicht-Heimelige. Der Ort, an dem man sich nicht wohl fühlt. Da wo das Unterbewusstsein anfängt.»
Drosselmeier sei dabei die Figur in der Erzählung, mit der sich E.T.A. Hoffmann gleichsetzt, erzählt Spuck: «Er ist ein Wandler zwischen den Welten, hat Zugang zur Fantasiewelt. Er kann Geschichten erzählen, junge Menschen beeinflussen und manipulieren. Das ist ein düsterer und spannender Charakter – und obendrein auch noch einer mit Ironie und Humor.»
«Tschaikowsky hätte es gefallen»
Über seine Produktion für das Ballett Zürich sagt Christian Spuck: «Ich könnte mir vorstellen, dass das Tschaikowsky gut gefallen hätte.»
Denn E.T.A. Hoffmanns Fassung des «Nussknackers» hätte dem hochsensiblen, homosexuellen Tschaikowsky wohl mehr entsprochen als die von Dumas – zeugt doch vieles in der Biografie des Komponisten von Abgründen, Tragik und Zerrissenheit.
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