Es knirschte im Gebälk. Gleichwohl überrascht der harte Schnitt: Etwas mehr Zeit für Theaterarbeit unter Normalbedingungen hätte vielleicht manche Krämpfe lösen können.
Die laufende vierte Saison ist für Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg mit Covid-Abzug sozusagen ihre zweite. Als sie 2019 antraten, kam auch das pandemische Durcheinander, Schliessmonate, Verlagerung der Theaterarbeit ins Netz.
Jetzt herrscht endlich Courant normal – und jetzt kann man sich keine gemeinsame Zukunft mehr vorstellen. Darum sei der Verwaltungsrat zum Schluss gekommen, den Vertrag mit der Intendanz auslaufen zu lassen. Das teilte das Schauspielhaus Zürich am Montag mit .
Jüngeres Publikum, leerere Kassen
Seit Herbst wird das Schauspielhaus angegriffen, es sei zu «woke», die Zuschauerzahlen brechen ein, die Abonnentinnen laufen davon. Die schlechte Auslastung hat mit Covid zu tun, in erster Linie ist aber ein Transformationsprozess im Publikum dafür verantwortlich.
Stemann und Blomberg sind mit der Auflage angetreten, das Schauspielhaus jünger und diverser zu machen – auf der Bühne, hinter der Bühne und im Saal. Auf diesem Weg haben sie viel erreicht. Es gibt jetzt zum Beispiel eine Diversitätsagentin im Haus: Das Publikum ist deutlich jünger, queerer, diverser. Der Haken daran ist, dass das neue Publikum tendenziell kein Abo löst und den Verlust nicht wettmachen kann.
«Wokeness»: Gesucht und verpönt
Die finanzielle Situation ist unerfreulich. Die Diversitätsdiskussion vermischt sich mit einer Qualitätsdiskussion. Die Stadt lässt die Theaterleiter – denen sie die monierte «Wokeness» über das Kulturleitbild selbst ins Pflichtenheft geschrieben hat – im Regen stehen.
Sie nahmen grosse Projekte in Angriff: neue Communities ansprechen, neue Arbeits- und Leitungsmodelle etablieren, die Angestellten besser schützen – fordernde und reibungsvolle Change-Prozesse.
Es erinnert an den Skandal um Christoph Marthaler am Schauspielhaus: Man holt sich Innovation ins Haus und erschrickt dann ob dem eigenen Mut.
Stemann und Blomberg haben sicherlich nicht immer den richtigen Ton getroffen in Zürich. Sie haben ein ideologisches Sendungsbewusstsein entwickelt, das am Zürichberg nicht gut ankam. Benjamin von Blomberg ist ein brillanter Dramaturg, Nicolas Stemann ein faszinierender Regisseur. Erfahrung als Theaterleiter hatten sie vor Zürich beide nicht.
Das Experiment bricht ab
Manches ist auf halber Strecke steckengeblieben, etwa die ästhetischen Synergien durch unterschiedliche künstlerische Handschriften. Da hat das Schauspielhaus noch kein Gesicht bekommen, ein greifbares Ensemble fehlt, mit dem das Publikum sich identifizieren kann.
Anderes hat sich eingelöst: hinreissende Aufführungen, künstlerische Anerkennung, internationale Ausstrahlung. Nun ist das Experiment abgebrochen. Es bleibt eine letzte Spielzeit. Da werden sie wohl – unter normalisierten Spielbedingungen – nochmal zeigen, wo es hätte hingehen können.
Für die Stadt Zürich bedeutet der abgebrochene Aufbruch, dass sie sich klarmachen muss, was sie von einem Stadttheater überhaupt will und an wen es sich richten soll. Die Suche nach einer neuen Intendanz soll in den nächsten Wochen starten.