Ausnahmsweise hatte es dieses Mal nicht die FPÖ auf Milo Rau abgesehen, die den streitlustigen Theatermann immer wieder öffentlich abwatscht. Es war der «offene Brief», den Milo Rau selbst Anfang Oktober auf der Homepage der «Wiener Festwochen» veröffentlicht hatte, der ihn in die Bredouille brachte – und den auch viele Rau-Sympathisanten als unglücklich interpretierten.
Darin ruft der 48-Jährige mit dem ihm eigenen Pathos zum Widerstand gegen den, wie er es nennt, «Genozid» in Gaza auf. Die Menschen in Deutschland und Österreich dürften zu den «Kriegsverbrechen» der israelischen Armee in Gaza nicht wieder schweigen, nachdem sie schon vor 80 Jahren zum Genozid an den europäischen Jüdinnen und Juden geschwiegen hätten.
Rau zeigt sich reuig
Gerade dieser Vergleich zwischen Gaza und Holocaust hat prominente Kunstschaffende empört: Unter anderem Elfriede Jelinek und Karl-Markus Gauss, Michael Köhlmeier und Doron Rabinovici haben Milo Raus Auslassungen in einem Gegenbrief scharf zurückgewiesen. Mit seinen «einseitigen Schuldzuweisungen», so heisst es, bereite der Schweizer Judenhass und Israelhetze das Feld. Sie werfen ihm Einseitigkeit und «Geschichtsrelativierung» vor.
Rau scheint das alles sehr unangenehm zu sein. Im Interview mit dem österreichischen Fernsehen ruderte er zurück: «Ich glaube, der erste Brief hatte vermutlich in der Verkürzung – das muss ich zugeben – etwas Provokatives, was ich in diesem Kontext in Wien vermeiden würde.» Den Vorwurf der Einseitigkeit weist Rau jedoch zurück. Gerade die «Wiener Festwochen» hätten immer wieder auch Stimmen aus Israel ein Forum geboten.
Für Richard III habe man im Vorjahr eine israelische Produktion eingeladen, um ein Zeichen gegen den Israel-Boykott vieler Theaterfestivals zu setzen.
Rückhalt aus der Politik
Ein weiterer Kritikpunkt an Milo Raus «offenem Brief»: dass er das Dokument quasi offiziell auf der Homepage der «Wiener Festwochen» veröffentlicht hat. Das habe er nur gemacht, verteidigt sich der Künstler, weil keine deutschsprachige Zeitung sein Manifest abdrucken wollte, im Gegensatz zu internationalen Blättern.
Die Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler stellt sich hinter Milo Rau. Wirklich glücklich scheint die Sozialdemokratin mit der Affäre aber auch nicht zu sein. Sie habe ein langes Gespräch mit ihm geführt, in dem sie ihm klargemacht habe, dass er trotz seiner grossen humanistischen Empathie auch ein bisschen nachdenken müsse: «Was ist die Rolle als Intendant, was ist die Privatperson und was ist er als Künstler.» Das sei nicht immer leicht zu trennen.
Versöhnliche Töne
Der Bedarf der Welt an Kriegen ist inzwischen gedeckt, meinen viele in der Wiener Kulturszene. Da bräuchte es nicht auch noch einen Krieg unter denen, die sich den Werten der Aufklärung verpflichtet fühlen. Milo Rau ist aufgefordert, auf seine Kritiker zuzugehen. Das scheint der Intendant der «Wiener Festwochen» verstanden zu haben.
«Ich wünsche mir wirklich, dass wir aufeinander zugehen, miteinander diese Debatte führen. Weil das ist Sinn und Zweck einer Debatte: dass man nicht einfach in seinen Lagern sitzt und wartet, bis man dem anderen irgendeinen Fehler nachweisen kann, nur um den Krieg weiterzuführen», so der Theatermacher.