Ein Holzchalet mit stilechtem Schindeldach steht auf der Bühne, davor wie auf einer Postkarte aufgereiht ein Trachtengrüppchen. Sie jodeln. «Himmelheilandonner!» flucht aber bald einer von ihnen. Und «Herrjemine» fügt eine andere seufzend an – «scho wider e Muni». Kein weibliches Kalb, das kostbare Milch liefern würde, bloss ein Stierkalb hat Blösch zur Welt gebracht, schon wieder ein Muni.
Blösch ist die Leitkuh im Stall des Knuchelbauern, eines Berner Landwirts, der das Bauern noch als Handwerk versteht, in einem Umfeld, in dem die Agrarwirtschaft zunehmend industrialisiert wird. Der Roman, auf dem das Stück basiert, stammt aus den 1980er-Jahren: Krisen zeichnen sich ab. Es gibt die Milchschwemme, es gibt eine ausgeprägte Fremdenfeindlichkeit. Und es gibt Ambrosio, der aus Spanien kommt und zuerst beim Knuchelbauern arbeitet, danach im Schlachthof.
Gotthelf und Pestalozzi – die Stiere
Die beiden Geschichten, vom Bauernhof und vom Schlachthof, schneidet Buchautor Beat Sterchi in eindrücklichen Beschreibungen gegeneinander. Ein Stier heisst Gotthelf, ein anderer Pestalozzi – wie der Emmentaler Schriftstellerpfarrer und der Zürcher Pädagoge. Das ist der kulturelle Hintergrund der Erzählung, und der literarische von Sterchi. Nur dass er in seinem Roman noch weit ungeschönter vom ländlichen Metzgen und Bolzenschiessen erzählt.
Er baut wuchtige Bilder in einer wuchtigen Sprache und knallt sie vor uns hin. Wie Brocken, an denen wir uns die Zähne ausbeissen dürfen.
Bauerntheater
Im Schauspielhaus Zürich hat der Schauspieler und Kabarettist Mike Müller den Roman bearbeitet. Er setzt ganz auf Swissness – schon in der Sprache. Mundart ist die Bühnensprache, hauptsächlich Berndeutsch in seinen unterschiedlichen Färbungen. Es ist hilfreich, wenn man dessen mächtig ist und auch vor dem Walliserdeutschen keine Scheu hat.
Müller betont die rustikalen Seiten des Stoffs, er bleibt zunächst ganz beim Bauernalltag, der Schlachthof kommt erst nach der Pause.
Der Regisseur Rafael Sanchez inszeniert es als regelrechtes Bauerntheater, es wird gesoffen und geflucht, gestikuliert und outriert, was das Zeug hält. Es ist eine Lust zum Zuschauen, wenn alle auf der Bühne eine Kuhherde mimen, oder wenn der Komiker Mike Müller in seiner ganzen Leibesfülle als protziger Zuchtstier auftritt.
Zwei Hälften
Auch Blösch tritt auf und jodelt und singt melancholische französische Chansons. Blösch, die Kuh, zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich den ökonomischen Zwängen entzieht. Sie zeugt keine Milchkühe, nicht mal ihr Fleisch lässt sich am Ende verwerten. Dass sie erst als junge, dann als alte Frau auftritt, verdeutlicht den gesellschaftspolitischen Aspekt der Verweigerung. Solch passiver Widerstand könnte auch eine menschliche Haltung sein.
Der harte Bruch folgt nach der Pause. Da geht es in den Schlachthof: In einer blutroten Höhle fast wie Eingeweide tritt nun die Drastik des Tötens in ihrer ganzen Härte zutage. Was im ersten Teil manchmal wie ein Schwank anmutet, dadurch fast zu lieblich, bekommt hier an den besten Stellen etwas Dämonisches. Eine grosse Fallhöhe also.
Es ist ein starker Schweizer Stoff zur Eröffnung im Schauspielhaus, und vor allem auch ein starkes Ensemble, das wir in dieser ersten Arbeit in Teilen kennenlernen. Ein ausgesprochen spielfreudiges Ensemble mit zahlreichen Schweizer Kräften, die hier voll zum Zuge kommen.