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St. Galler Kulturpreis für Rau Milo Rau spendet seinen Preis an die Mumie Schepenese

Die St. Gallische Kulturstiftung würdigt Milo Raus künstlerisches Schaffen. Doch der Weltveränderer widmet das Preisgeld für eine politische Aktion um: Er will ein Exempel für den Umgang mit kolonialer Kunst statuieren.

Ein grosses Privileg fordert grosse Verantwortlichkeit. Auf wenige Künstler trifft dieser Leitsatz mit so aktionistischer Ausprägung zu wie auf Milo Rau. Der Schweizer Regisseur und Theaterintendant will in seiner künstlerischen Arbeit die Welt nicht abbilden, sondern sie verändern.

Wie das geht, hat er mit seinem Leitungsteam am Niederländischen Theater Gent in zehn radikalen Regeln vorgespurt, dem «Genter Manifest».

Radikal geht Milo Rau nun auch mit dem Kulturpreis der sanktgallischen Kulturstiftung um, der ihm am Donnerstagabend zuteil wird. Sozusagen im zweiten Anlauf, hätte Milo Rau doch schon 2018 einen St. Galler Kulturpreis bekommen sollen: nicht den gleichen, sondern denjenigen der Stadt, den ihm der Stadtrat entgegen der Empfehlung der Kulturkommission aberkannt hat.

Widmung an eine Mumie

Milo Rau widmet die 30'000 Franken Preisgeld für eine politische Aktion um: Die unter dem Namen Schepenese bekannte Mumie in der St. Galler Stiftsbibliothek soll nicht mehr ausgewickelt dargestellt werden, sondern nach Ägypten zurückkehren.

Die ägyptische Mumie Schepenese in einem Sarg aus Glas
Legende: Die ägyptische Mumie Schepenese ruht derzeit noch in der St. Galler Stiftsbibliothek. Stiftsbibliothek St. Gallen/Hannes Thalmann

Er habe sich gefragt: «Was kann ich machen? Was braucht St. Gallen? Und wir haben diese Schepenese, geraubt aus Ägypten, ausgewickelt. Nackt wird sie seitdem in der Stiftsbibliothek dargeboten, neben der ältesten deutschen Bibel – eine totale Absurdität!»

Die Absurdität soll mit der «St. Galler Erklärung für Schepenese» aus der Welt geschafft werden. Die Mumie ist für Milo Rau ein Symbol für Fragen nach dem Umgang mit kolonialer Kunst im Allgemeinen. Und für den spirituellen Umgang mit sterblichen Überresten.

Stellungnahme der Stiftsbibliothek St. Gallen

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Die Stiftsbibliothek St. Gallen reagierte auf die «St. Galler Erklärung für Schepenese» mit Hinweisen zu Ungenauigkeiten im Text. Hier geht es zu den Anmerkungen der Stiftsbibliothek .

In einem Ritual soll Schepenese deshalb am Donnerstag symbolisch auf die Reise geschickt werden: mit einem altägyptischen Totenschiff auf einem Ostschweizer Heuwagen. «Rituale sind für mich wichtig, um die Notwendigkeit von etwas zu zeigen, um ein Bild zu schaffen», sagt Milo Rau. 

Mit Spiritualität gegen den Kommerz

Er versuche in seinen Arbeiten oft, Spiritualität in Fragen hineinzubringen, denen diese abhandengekommen sei. «Es scheint uns ethisch nicht zu stören, dass eine Frau aus dem Grab geraubt und gegen Geld nackt ausgestellt wird – neben einer Bibel. Ich denke, da brauchen wir ein Ritual, um uns dessen wieder bewusst zu werden. Um eine Ebene zu finden, auf der wir das diskutieren können.»

Spiritualität ist für Milo Rau eine Gegenkraft zur allgemeinen Kommerzialisierung, und insofern genuine Aufgabe der Kunst. Um wieder in Würde betrachten zu können, was oft nur materiell verwertet wird: «Das sind für uns alles Ausstellungsgegenstände, die man kapitalisieren kann. Ich glaube, hier müssen wir die Aufklärung um den ausgeblendeten, vielleicht vergessenen Teil vervollständigen.»

Auf die Frage, welchen Platz Spititualität in seiner Kunst habe, antwortet der Preisträger: «Die Frage nach den Toten. Was geschieht mit uns? Was wollen wir, dass mit uns geschieht? Was ist unsere Beziehung zu dieser Welt, die nicht direkt vor unseren Augen liegt und kapitalisierbar ist? Ich glaube, das ist heute die Aufgabe der Kunst: der unvollständigen Moderne die verratenen und vergessenen Teile zurückzugeben.»

Schamanen und Priesterinnen tauchen immer öfter auf bei Milo Rau. Sie verbinden sein Theater mit dem Ritual, und binden es damit auch zurück an die kultischen Anfänge des Theaters.

Ausstellungshinweis

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Die Mumie wird auch der prominente Gast in Milo Raus Ausstellung «Warum Kunst?» in der Kunst Halle Sankt Gallen sein: 17. November bis 18. Dezember.

Die Ausstellung schaut auf 15 Jahre Kunst und Aktivismus des Theaterregisseurs, Intendanten und Autors zurück.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 17.11.2022, 08:06 Uhr

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