- Der kritische russische Regisseur Kirill Serebrennikow wurde verhaftet. Ihm wird Veruntreuung von Staatsgeldern vorgeworfen.
- Bereits im Mai wurde seine Wohnung durchsucht und Mitarbeiter von ihm verhaftet.
- Ob die Verhaftung als Signal an die pro-westliche Kulturelite verstanden werden muss, wisse man nicht, sagt SRF-Russland-Korrespondent David Nauer. Aber die russische Kulturszene verstehe dies so.
Noch vor wenigen Wochen stand Kirill Serebrennikow nach einer Aufführung in seinem Moskauer Gogol Theater auf der Bühne. Er wurde als eine Lichtgestalt der russischen Kulturszene gefeiert.
«Wer lebt in Russland glücklich?», hiess das aufgeführte Stück. In einer Szene gab ein Schauspieler die Antwort: Mit Blut schrieb er das Wort «Zar» an eine Wand.
Kein Sturz, aber Klartext
Das sei typisch für Serebrennikow, erzählt SRF-Russland-Korrespondent David Nauer, der im Publikum sass: «Er ruft auf der Bühne nicht direkt zum Sturz von Putin auf. Aber er ist doch sehr eindeutig.»
Nun wurde Serebrennikow verhaftet – wegen Betrugs. Er soll zwischen 2011 und 2014 staatliche Gelder in der Höhe von 68 Millionen Rubel, umgerechnet 1,1 Millionen Franken veruntreut haben, hiess es vom russischen Ermittlungskomitee. Ehemalige Mitarbeiter würden ihn belasten.
Streit um Shakespeare
«Was an diesen Vorwürfen dran ist, kann man von aussen betrachtet schwer beurteilen. Aber der Fall wirkt seltsam», meint David Nauer. So werde Serebrennikow vor allem vorgeworfen, eine vom Staat mitfinanzierte Inszenierung von Shakespeares «Sommernachtstraum» nicht umgesetzt zu haben.
Doch: «Das Stück wurde aufgeführt in Moskau und im Ausland. Theaterkritiker haben darüber geschrieben, Zuschauer haben es gesehen.» In der russischen Kulturszene wird vermutet, dass die Behörden mit der Verhaftung von Serebrennikow vor allem ein Exempel statuieren möchten.
Liebling der Kulturszene
Besonders unter pro-westlichen Russen ist Kirill Serebrennikow beliebt. Denn der Regisseur inszeniert mutig, oft doppelbödig. Er sei «ein richtiger Tausendsassa», sagt David Nauer.
«Seine Aufführungen sind von einer ästhetischen Wucht, die einem fast erschlägt. Dabei ist er kritisch, unterwirft sich nicht dem neokonservativen und anti-westlichen Kurs, der derzeit in Russland sehr stark ist.» Im Gegenteil: Er bringe Themen wie Homosexualität, die schwierige Lage der Frau oder die ungleiche Verteilung von Reichtum auf die Bühne.
Distanziertes Verhältnis
Bereits im Mai ist Serebrennikows Wohnung durchsucht worden. Drei frühere Mitarbeiter wurden danach mit Untersuchungshaft oder Hausarrest belegt. Serebrennikows Pass wurde eingezogen, er durfte nicht ins Ausland reisen. Seither fürchtete er, dass er verhaftet würde.
Allerdings habe dies kaum Putin persönlich angeordnet, meint David Nauer. Viel eher habe seine Person wohl konservativen Kreisen aus dem Sicherheitsapparat nicht gepasst:
«Ob es um einen Warnschuss an die Kulturelite geht oder darum, die pro-westliche Kulturszene in der russischen Öffentlichkeit als korrupt zu diskreditieren, weiss man nicht.» Jedenfalls laute die Botschaft, man solle sich als Kulturschaffender nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. So mindestens wird es in der russischen Kulturszene verstanden.
Der Regisseur selbst bezeichnet sein Verhältnis zu den Machthabern in Moskau als distanziert. «Ich vertraue niemandem von ihnen», sagt er einmal gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Kompakt, 17:08 Uhr