«Damals teilte man mir mit, dass es keinen versteckten Missbrauch im Sport gibt», sagt Regisseurin Charlène Favier. Das war 2017, als sie dabei war, ihren ersten Langfilm «Slalom» zu finanzieren.
Faviers fiktive Geschichte handelt von der 15-jährigen Lyz (Noée Abita). Sie will Profi-Skifahrerin werden. Dafür braucht sie Trainer Fred (Jérémie Renier) auf ihrer Seite. Mit harter Arbeit und ersten Erfolgen lenkt sie bald dessen Aufmerksamkeit auf sich.
Coach Fred pusht sie an ihr Limit. Doch dann beginnt er Grenzen zu überschreiten. Kommt Lyz immer näher. Und vergewaltigt sie.
«Es gab Geschichten und Gerüchte»
«Ich begann 2015 mit dem Drehbuch. Damals hat noch niemand öffentlich über das Thema gesprochen», erzählt die Regisseurin im Gespräch mit SRF.
Lyz’ Geschichte sei nicht autobiografisch. Doch sie behandle Erfahrungen, von denen sie immer wieder gehört habe.
Als sie mit ihrer Recherche für den Film begann, wollte jedoch niemand offen Auskunft geben. Auch nicht die vielen jungen Athletinnen und Athleten, die sie interviewte. «Ich hatte aber oft so ein mulmiges Gefühl, wenn sie berichteten», sagt die Regisseurin. Auch in den Skisport-Dörfern habe es Geschichten und Gerüchte über sexuellen Missbrauch gegeben.
500 junge Kunstturnerinnen misshandelt
Inzwischen ist viel passiert. Seit #MeToo kamen unzählige Fälle von sexuellem Missbrauch an die Öffentlichkeit. Auch im Sport. In Frankreich, England oder Österreich. Im Skifahren, Fussball oder Eiskunstlaufen
Der bekannteste Fall: Sportarzt Larry Nassar in den USA. Er wurde 2018 zu mindestens 100 Jahren Gefängnis verurteilt. Über 30 Jahre hinweg hatte er unter dem Deckmantel medizinischer Praktiken über 500 junge Kunstturnerinnen misshandelt.
Wie oft sexueller Missbrauch im Sport tatsächlich vorkommt, weiss man nicht. Einige Studien gehen davon aus, dass zwei bis acht Prozent der jungen Athletinnen und Athleten betroffen sind. Laut anderen Umfragen sind es sogar 37 Prozent.
Besonders gefährdet: Junge im Spitzensport
Solche Fälle passieren auch in der Schweiz. Adrian von Allmen ist bei Swiss Olympic verantwortlich für das Programm gegen sexuelle Übergriffe im Sport . Ihm werden pro Jahr 6 bis 10 Fälle gemeldet. Die Dunkelziffer dürfte viel höher sein.
«Besonders im Spitzensport ist die Gefahr gross», sagt von Allmen. «Wegen der Abhängigkeit und dem Machtgefälle zwischen jungen Athletinnen oder Athleten und ihren Trainern.»
Lernen, wo man hinschauen muss
Swiss Olympic arbeitet eng mit Sportverbänden zusammen. Hat Strategien erstellt, wie sexueller Missbrauch verhindert und wie damit umgegangen werden kann.
Filme wie «Slalom» seien wichtig für die Sensibilisierung, erklärt von Allmen. «Sie zeigen, wo man hinschauen muss. Denn das ist oft gar nicht so einfach.»
«Die Gesellschaft ist bereit»
Regisseurin Charlène Favier wurde bereits von mehreren Sportverbänden und Institutionen kontaktiert. Sie wollen ihren Film zur Aufklärung für Jugendliche und Trainer nutzen.
«Als ich mit der Arbeit am Film begann, wurde noch geschwiegen», sagt die Regisseurin. «Doch ich merke, dass die Gesellschaft jetzt bereit ist, über das Thema zu sprechen. Dass sie bereit ist für meinen Film.»