Darum geht es: Die ehemalige französische Eiskunstläuferin Sarah Abitbol wirft in einem Buch (Un si long silence – Ein so langes Schweigen) ihrem einstigen Trainer vor, sie Anfang der 1990er-Jahre, als 15-Jährige, vergewaltigt zu haben. Der Inhalt des Buchs bewegt seit Tagen die französische Öffentlichkeit.
Das hat das Buch von Sarah Abitbol in Frankreich ausgelöst: «Es hat schockiert», sagt Rudolf Balmer, Frankreich-Mitarbeiter von SRF. Ein Tabu sei gebrochen worden. Nach der Veröffentlichung des Buches wurden Missbrauchsvorwürfe von anderen Eiskunstläuferinnen bekannt – auch Fälle aus anderen Sportarten wie dem Schwimmen. Es entbrannte eine Debatte darüber, ob die Vorwürfe von Vereinen und Verbänden vertuscht worden sind.
Diese direkten Konsequenzen hatte der Fall bisher: Die Pariser Staatsanwaltschaft leitete Vorermittlungen im Fall Abitbol ein. Am Wochenende ist zudem Didier Gailhaguet, der seit 21 Jahren amtierende Präsident des französischen Eissportverbands, unter dem Druck der Medien und auf Drängen der Sportministerin zurückgetreten. Der Verband hat eine Interimsvorsitzende eingesetzt, die den Kampf gegen sexuelle Aggressionen zu ihrer Priorität erklärt hat. Gailhaguet weist Vorwürfe, er habe Missbrauchsfälle vertuscht, zurück.
Warum kommt die Debatte über sexuellen Missbrauch im Sport erst jetzt? Lange sei es Opfern sexueller Übergriffe schwer gemacht worden, an die Öffentlichkeit zu gehen, sagt Rudolf Balmer. «Man hat ihnen nicht geglaubt. Und wenn doch wurde das Ganze sehr schnell zu den Akten gelegt.» So sei bereits in den 90er-Jahren ein französischer Eiskunstlauftrainer nach einer Klage von sechs Läuferinnen wegen sexueller Gewalt zu 10 Jahren Haft verurteilt worden. Der Fall habe aber überhaupt keine Nachwirkungen gehabt, sagt Balmer. «Er wurde einfach unter den Tisch gewischt – ein bisschen wie ein störendes Familiengeheimnis.» Einer der Klägerinnen habe man gar zu verstehen gegeben, dass man es gar nicht schätze, dass sie einen Trainer «ins Gefängnis gebracht» habe.
Wird sich im französischen Sport nun etwas ändern? Zumindest ist das Echo auf Abitbols Vorwürfe enorm. Rund 50 Spitzensportler, darunter Judo-Olympiasieger Teddy Riner, haben dazu aufgerufen, dass nicht mehr aus Rücksicht auf das Image eines Sports oder Verbandes zu Missbrauchsfällen geschwiegen werden solle. «Es gibt auf jeden Fall Konsequenzen aus dieser Debatte», sagt Rudolf Balmer. So würden neue Regeln diskutiert, die verhindern sollen, dass Trainer zu engen Kontakt mit Kindern und Jugendlichen haben und das Risiko sexueller Aggressionen vermindern sollen.