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80. Filmfestspiele von Venedig «Origin»: Warum Rassismus mehr als «Weiss gegen Schwarz» ist

Ava DuVernays Drama beleuchtet Leben und Werk der Pulitzerpreisträgerin Isabel Wilkerson. Die US-amerikanische Journalistin und Autorin recherchiert seit Langem, wie Rassismus und soziale Hierarchien entstehen – und zeigt, dass «Weiss gegen Schwarz» nicht immer passt.

80 Ausgaben lang hat es gedauert. Nun ist zum ersten Mal in der Geschichte des Filmfestivals Venedig eine afroamerikanische Frau mit ihrem Film im Rennen um den Goldenen Löwen vertreten.

Warum es afroamerikanische Filmemacherinnen so viel schwerer haben, könnte Ava DuVernays Film «Origin» gleich selbst erklären.

Zwei Frauen treffen sich – und den richtigen Ton

In ihrem siebten Spielfilm porträtiert die US-amerikanische Filmemacherin die New-York-Times-Journalistin und Autorin Isabel Wilkerson und zeigt deren Recherchen zum Buch «Caste: The Origins of Our Discontents».

«Ich habe das Buch dreimal gelesen», erzählt Regisseurin Ava DuVernay an der Pressekonferenz in Venedig. «Ich war so fasziniert und wollte, dass alle Isabels Ideen zum Konzept der Kaste kennen. So kam mir der Einfall, daraus einen Film zu machen.»

Eine afroamerikanische Frau posiert vor einer Wand, auf der das Logo des Filmfestivals Venedig steht.
Legende: Regisseurin Ava DuVernay ist die erste afroamerikanische Frau im Hauptwettbewerb in Venedig. Keystone / AP Invision / Vianney Le Caer

Isabel Wilkerson recherchierte für ihr Sachbuch, wie die Hierarchien zwischen verschiedenen Gruppen von Menschen in den USA und anderen Teilen der Welt aufrechterhalten werden. Ausschlag dafür gab die Ermordung des Schwarzen Teenagers Trayvon Martin, der 2012 von einem Hispanoamerikaner erschossen wurde.

«Weiss gegen Schwarz» passt nicht immer

In der Verfilmung sieht man, wie Wilkerson, gespielt von Aunjanue Ellis-Taylor, das Geschehene zu verstehen versucht. In den USA denke man bei Rassismus an «Weiss gegen Schwarz». Das Konzept funktioniert bei der Ermordung eines Afroamerikaners durch einen Hispanoamerikaner aber nicht.

Ein Mann und eine Frau stehen nahe voreinander, die Stirn aneinandergelegt.
Legende: Isabel Wilkerson (Aunjanue Ellis-Taylor) mit ihrem Ehemann Brett (Jon Bernthal). Array Filmworks

Wilkerson verknüpft den Rassismus in den USA mit dem Holocaust in Europa – «Weiss gegen Weiss» – und mit dem Kastensystem in Indien – «Braun gegen Braun». Sie kommt, vereinfacht gesagt, zum Schluss: Das Problem sind überall die vom Mensch erfundenen Kastensysteme und die Mittel, mit denen sie aufrechterhalten werden. Darunter Ausgrenzung, der Gedanke von «Reinheit» oder Entmenschlichung.

Buchadaption oder Lebensgeschichte? Beides!

Der Film «Origin» verwebt das Buch mit der Lebensgeschichte der Autorin. Regisseurin Ava DuVernay und Autorin Isabel Wilkerson haben sich in Vorbereitung auf die Verfilmung mehrere Male getroffen, erzählt DuVernay in Venedig.

Eine Mischung aus Sachbuch und Lebensgeschichte einer Journalistin – das klingt anstrengend. Doch Ava DuVernay liefert mit «Origin» ein abwechslungsreiches, teilweise herzzerreissendes, wenn auch nicht ganz nachvollziehbares Drama.

Sie illustriert Wilkersons Theorie immer wieder mit persönlichen Schicksalen. Bezeichnend hierfür ist der Fall eines Schwarzen Jungen, der in den 1950er-Jahren erst mit seiner Baseball-Mannschaft ein Turnier gewinnt. Dann aber muss er der Siegesfeier im Schwimmbad von ausserhalb des Zauns zuschauen. Der Bademeister sagt, er müsse das ganze Wasser wechseln, wenn es durch den kleinen Jungen «verschmutzt» würde.

Eine Theorie, die Fragen aufwirft

Diese persönlichen Geschichten machen den Film anschaulich. Ganz klar werden Wilkersons Gedanken und Herleitungen ihrer Theorie im Film aber nicht.

Wie sie Rassismus, Holocaust und indisches Kasten-System genau verknüpft, ist wohl doch etwas zu komplex für einen Spielfilm. Vielleicht muss man dazu ihr Sachbuch lesen. «Origin» macht auf jeden Fall neugierig darauf.

Ein Schweizer Starttermin für «Origin» steht noch nicht fest.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 31.08.2023, 07:52 Uhr

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