Hana ist Waise, ihr Pflegevater hat sie nach dem Tod ihrer Eltern vom Berg herab zu seiner Frau und seiner Tochter geholt und wie seine eigene Tochter aufgezogen. Hana liebt Mutter und Pflegeschwester und hängt sehr am Ersatzvater. Sie lebt seine Rolle, möchte schiessen, jagen und selbstbestimmt leben. Der Vater erkennt dies, weist sie aber auf Grenzen und Verhaltensweisen hin.
Aus Hana wird Mark
Als die Schwester mit ihrem Freund vor der traditionellen Frauenrolle nach Italien flüchtet, bleibt Hana mit den Eltern zurück – als Sohn anerkannt vom Vater und der Dorfgemeinschaft, unter dem Namen Mark. Erst nach dem Tod beider Eltern entschliesst auch Mark sich zu einem neuen Leben. Er reist unangekündigt nach Mailand zur Schwester und ihrem Mann und deren Teenager-Tochter.
Für Laura Bispuris Film ist die italienische Schauspielerin Alba Rohrwacher ein Glücksfall. Als Zuschauer erkennt man sie zwar von Anfang an als Frau. Aber als Mark nimmt sie mit ihrer Lakonie und feinen Kleinheit den Zuschauer ein, ohne einem richtig vertraut zu werden. Mark/Hana ist ein geschlechtsloses Zwitterwesen, ein Mensch, der einen definierten Preis für eine eng definierte Freiheit bezahlt hat. Und langsam merkt, dass dieser Handel in der alten Umgebung vielleicht sinnvoll schien – in der neuen aber bloss noch absurd ist.
Ein extrem detailreicher Film
Dass es in Mailand dann ausgerechnet die synchronschwimmende Teenager-Nichte ist, die Mark als Frau erkennt und anerkennt und ihre Weiblichkeit fördert, ist ein hübsches Detail in diesem extrem detailreichen, ruhigen Film.
Laura Bispuris Erstlingsfilm geht von einer Situation aus, die direkt einem Gender-Studies-Labor hätte entsprungen sein können. Aber ihr Film braucht keine Theorie, er spielt das alles ganz praktisch und vor allem ganz einleuchtend und zu Herzen gehend durch.
Abstrakter Plot, gut umgesetzt
Ein Mädchen, das seine Geschlecht zurückweist, weil es in seinem gesellschaftlichen Umfeld eindeutig als minderwertig und nicht selbstbestimmt definiert ist, wäre schon für sich genommen eine fast unspielbar theoretische Figur. Wenn aber die Frauwerdung nach zehn Jahren geschlechtsloser Männlichkeit dazu kommt, wird das vollends abstrakt. Dass es Laura Bispuri mit Alba Rohrwacher zusammen gelingt, diese Abstraktionen konkret erfahrbar zu machen, fühlbar und oft schmerzlich – dann ist es ein kleines Wunder.
Der Film ist eine italienisch-schweizerisch-deutsch-albanisch-kosovarische Koproduktion, und bevor die ersten Bilder auf der Leinwand erscheinen, lacht das Publikum schon einmal einigermassen verblüfft über den endlosen Vorspann mit Geldgebern und Produktionspartnern. Ihre Vielzahl deutet darauf hin, dass kein einzelner Produzent das Risiko alleine tragen wollte oder konnte, dass wohl insgeheim fast alle damit rechnen mussten, dass ein dermassen kühnes Projekt auch einfach scheitern kann. Aber der Film ist geglückt.