«Ich wurde nie positiv auf Drogen getestet.» Lance Armstrong (Ben Foster) steht vor dem Spiegel und wiederholt diesen Satz kontinuierlich. Immer deutlicher und selbstsicherer. Als müsse er sich selbst davon überzeugen. Für ihn geht es weniger darum, eine Rolle zu spielen. Es geht darum, an die eigene Lüge zu glauben. Und die Lüge ist so gross, dass nicht nur er bis am Ende daran festhält. Das Publikum tut es auch.
Armstrongs Karriere war zu schön, um wahr zu sein. Nachdem er erfolgreich den Hodenkrebs besiegte, stieg er 1999 zurück auf den Sattel. Völlig überraschend entwickelt er sich im Nu zu einer Machtfigur: Siebenmal in Folge gewann er die Tour de France. Eine aussergewöhnliche Leistung. Fast schon surreal.
Unzählige Male wurde er des Dopings bezichtigt. Er aber beharrte auf seiner Version und bestritt alle Anschuldigungen mit solcher Vehemenz, dass die meisten an seine Unschuld glaubten. Oder glauben wollten. Denn die Welt braucht Helden und Armstrong war der ultimative Sportheld.
Zwischen Lüge und Heldentum
«The Program» beeindruckt durch die nuancenreiche Schilderung dessen, was sich zwischen Lüge und Wahrheit, zwischen Fiktion und Realität befindet. Der Film zeigt, wie viele Facetten die Geschichte des Sportidols besass.
Wir sehen nicht nur Armstrongs Lüge, sondern auch das Leiden des jungen Sportlers vor dem Dopingskandal, seinen Kampf gegen den Krebs und seinen eisernen Willen, gesund zu werden.
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Sein Traum, die Tour de France «sauber» zu gewinnen, zerplatzt schon in einer der ersten Szenen, als ihn ein französischer Rennfahrer verhöhnt: «In Amerika magst du zwar gut sein, aber hier wirst du nie gewinnen.» Armstrong wird klar: Ohne Doping kann er nicht siegen. Szenen wie diese versetzen den Zuschauer in Armstrongs Lage und werfen moralische Fragen auf: Was hätten wir in seiner Situation gemacht? Wie weit darf man gehen, um seine Träume zu erfüllen?
Stephen Frears‘ packendes Psychodrama ist zu objektiv, um Armstrong zum liebenswerten Helden zu verklären. Trotzdem schafft es Frears, das Publikum emotional zu packen. Als Zuschauer wünscht man sich, dass Armstrong wirklich so heroisch ist, wie er zu sein scheint. Er selbst kann nicht aufhören zu lügen, weil das Publikum nicht aufhören kann, an diese Fiktion zu glauben. Darin liegt die Stärke des Films. «The Program» ist nicht nur ein Porträt über Lance Armstrong, es ist ein Porträt unserer Gesellschaft. Und deren beharrlichen Wunsch nach einem Sportmärchen mit Happy End.
Eine radikale Schauspielmethode
Ben Foster spielt den charismatischen Manipulator Armstrong mit vollem Körpereinsatz. Seine Performance – eine Tour de Force nahe der Perfektion. Foster wirkt unglaublich authentisch und weckt als raffinierter Täuscher die unterschiedlichsten Gefühle.
Wie uns der Method Actor im Rahmen des Zurich Film Festival verriet, hat er sich für den Part selbst einem Doping-Programm unterzogen: «Leistungssteigernde Drogen und eine Hunger-Diät verwandelten meinen Körper. Welche chemischen Substanzen ich zu mir genommen habe, sage ich ganz bewusst nicht. Nur so viel: Ich wurde dabei von einem Sportarzt überwacht. Es war eine abgespeckte Version dessen, was die Rennfahrer damals konsumiert haben. So konnte ich das Ganze besser nachvollziehen.»
Das Ergebnis gibt Fosters radikaler Methode Recht. Dank seiner Performance ist Stephen Frears mit «The Program» ein psychologisches Meisterwerk gelungen, das nicht nur Fans des Radsports begeistern wird.