Sie ist charismatisch, Mitte 30 und immer noch unverheiratet: Niloofar leitet in Teheran eine kleine Schneiderei und kümmert sich um ihre lungenkranke Mutter.
Sie fühlt sich weder unterdrückt, noch ist sie verbittert. Ganz im Gegenteil: Wenn ihr etwas nicht passt, dann teilt sie das lautstark mit. Die Schauspielerin Sahar Dolatshahi spielt diese Frau mit Energie, Witz und Charme. Man mag sie ab dem ersten Augenblick.
Ab aufs Land
Niloofar kommt nun trotz ihrer starken Persönlichkeit unter die Räder. Das ist einem familiären Umstand geschuldet: Die asthmatische Mutter muss auf ärztliches Anraten die Hauptstadt verlassen. Sie erträgt die hohen Emissionswerte nicht.
Die Familienmitglieder scheinen sich einig zu sein: Niloofar soll gleich mit ihrer Mutter aufs Land ziehen. Schliesslich hat sie immer ihr geschaut. Sie ist auch als Einzige ledig geblieben.
Ihr sind die Hände gebunden
Als Niloofar erfährt, was hinter ihrem Rücken beschlossen wurde, platzt der Kragen. Weder ist sie gewillt, ihre Schneiderei aufzugeben, noch will sie aufs Land ziehen.
Sie hat gerade einen Mann kennengelernt. Wenn sie jetzt die Stadt verlässt, dann würde das die aufkeimende Beziehung gefährden.
Langsam dämmert Niloofar, dass ihr die Hände gebunden sind. Die Schneiderei ist Familienbesitz. Darum hat auch ihr Bruder Einfluss darauf, und das nützt er schamlos aus.
Zudem scheitern Nilofaars Versuche, den Landaufenthalt bei der Mutter unter den Geschwistern zeitlich aufzuteilen. Ebenfalls unklar bleibt vorerst, ob wenigstens ihr neuer Geliebter sie unterstützt.
Zwei Sorten von Klima
Regisseur Behnam Behzadi spielt mit dem Titel des Films, «Inversion», einerseits auf das meteorologische Phänomen der Inversionswetterlage an: Es hindert die Autoabgase im Sommer am Steigen. Andererseits steht «Inversion» auch für den Widerstand, den Niloofar leisten muss, wenn sie gegenüber ihrer Familie – insbesondere den Männern – zu ihrem Recht kommen will.
Diese Analogie zwischen meteorologischem und gesellschaftlichem Klima wird im Film allerdings nicht überstrapaziert. «Inversion» ist kein Film der schweren Thesen. Er beobachtet das Zusammenprallen von patriarchalischem Gedankengut und freiheitlichen Ideen – nicht auf der grossen Politbühne, sondern im völlig unspektakulären Alltag.
Fremde Menschen – so nah
Laut gestritten wird in «Inversion» überraschend selten. Meist ist die Stimmung gut und der Ton freundschaftlich. Dramatische Wendepunkte bleiben weitgehend aus.
Gerade deshalb fühlt man sich den Menschen in dieser fernen Stadt so nah: Weder ihre Probleme noch ihre Lösungsansätze unterscheiden sich von den unsrigen.
Auch wir haben zum Teil Eltern, deren Pflege uns beruflich einschränkt. Auch wir haben Familienbetriebe, über deren Führung wir uns streiten. Auch wir haben Geschwister, die uns nicht immer helfen. Auch wir hassen es, wenn wir vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Eigentlich ist das alles ganz normal.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Nachrichten, 7.6.2017, 16.50 Uhr.
Kinostart: 8. Juni 2017