Tilda lebt in einer deutschen Kleinstadt. Im traurigsten Haus der Fröhlichstrasse. Sie schwimmt im Freibad täglich genau 22 Bahnen, die, so sagt sie, nur ihr gehören. Das ist ihr Ruhepol, ihre Therapie. Sonst ist ihr Leben streng durchgetaktet: Sie studiert Mathematik, jobbt im Supermarkt, betreut ihre 10-jährige Schwester Ida (Zoë Baier) und kümmert sich um ihre alkoholkranke Mutter. Der Vater ist schon lange abgehauen.
Tilda, gespielt von der vielfach prämierten Luna Wedler («Amateur Teens», «Blue my Mind», «Biohackers») ist kühl, berechnend und abgeklärt – aber auch fürsorglich, liebevoll und romantisch. Und voller lakonischem Humor.
Eine ambivalente Figur, die es der Zürcher Schauspielerin nicht einfach machte: «Es war eine Herausforderung, weil sie ein extremes Innenleben hat, aber von aussen eigentlich sehr still wirkt. Und ich bin eher das Gegenteil, ich bin sehr hibbelig. Ich kann zum Beispiel auch nicht so gut Stille aushalten, sie hingegen kann das extrem gut.»
Der Alkohol zerfetzt alles
Aushalten müssen Tilda und Ida auch die Suchtkrankheit ihrer Mutter, erschütternd gespielt von Laura Tonke («Baader», «Hedi Schneider steckt fest»). Sie wissen nie, in welchem Zustand sie die Mutter daheim antreffen. Einmal steht die Küche in Brand, einmal ist Ida verschwunden und die Mutter hat keine Ahnung, wo sie steckt.
Tilda trägt die ganze Verantwortung in diesem fragilen, desolaten Familiensystem und muss funktionieren. Doch die Geschwisterliebe, der emotionale Kern der Geschichte, hält alles zusammen.
Das kann Luna Wedler gut nachvollziehen, da auch sie eine grosse Schwester ist: «Für mich handelt der Film in erster Linie von einer Geschwisterliebe. Das ist auch ein Grund, warum ich mitmachen wollte. Ich glaube, das Band, das man mit einem Geschwister hat, ist so wertvoll und wunderschön. Man spricht eine Sprache, ohne reden zu müssen.»
Als Tilda eine Promotionsstelle in Berlin angeboten wird und ihr Viktor begegnet, muss sie eine Entscheidung treffen: Kann sie sich befreien, ihren eigenen Weg gehen und Ida bei ihrer Mutter zurücklassen?
Nah an der Romanvorlage
«22 Bahnen» ist die Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Caroline Wahl. Die deutsche Erfolgsautorin redete beim Casting mit, war am Set und hat den Entstehungsprozess mitgestaltet. Der Film bleibt nah an der Vorlage und trifft dessen Botschaft. «Ich habe den Roman in einer Zeit geschrieben, wo es mir nicht so gut ging», sagt die heute 30-jährige Wahl. Sie war damals Assistentin beim Diogenes-Verlag in Zürich.
Die Geschichte von Tilda und Ida habe ihr viel gegeben, sei ein Schutzraum gewesen. Durch die beiden habe sie den Blick für die schönen Dinge zurückgewonnen: «Ich hoffe, dass das auch dem Filmpublikum Hoffnung macht und zeigt, dass die Welt irgendwie scheisse und ungerecht ist, aber auch voll schön.»
Das Coming-of Age-Drama «22 Bahnen» ist leise und unaufgeregt, aber dennoch eindringlich und emotional packend. Es findet die richtige Balance zwischen Kitsch und Realitätsdarstellung. Nicht nur die Fans des Buches werden den Film mögen.
«22 Bahnen» läuft ab dem 4. September im Kino.