«Wieso Katar? Warum spielt man in einem Land, in dem es so heiss ist und das extra Stadien bauen muss? Ganz zu schweigen von den Arbeitsbedingungen …»
Die Verwunderung, die ein Journalist in der neuen Netflix-Doku auf den Punkt bringt, schreit geradezu nach Aufarbeitung. Obwohl das Publikum die Antwort inzwischen längst kennt: Korruption und Geldgier haben die Austragung im Emirat ermöglicht.
Pünktlich zur WM versprechen gleich mehrere TV- und Streaming-Produktionen, die Missstände innerhalb der Fifa zu durchleuchten.
Während SRF oder Arte mit Recherchen neue Details zutage fördern, konzentriert sich Netflix auf «the big picture». Also auf das grosse Ganze – mit besonderer Berücksichtigung der unterhaltenden Aspekte.
«The Godfather» stand Pate
Wie bringt man dem Hollywood-affinen Netflix-Publikum die Fifa näher? Indem man den Weltfussballverband mit der Mafia vergleicht, wie man sie aus «The Godfather» kennt.
Entsprechend plakativ wird der erste Walliser Fifa-Präsident als charismatischer Schurke eingeführt: «Sepp Blatter war das Familienoberhaupt, der Pate des Fussballs.» An anderer Stelle übergibt die Serie dem US-Justizministerium das Wort: «Hier spielen die Weltmeister des Betrugs.»
Als saftiges Mafiaepos angelegt, strotzt «FIFA – Uncovered» nur so vor dunklen Gestalten, die um ihre Fehler wissen. Passend dazu hat sich der in viele Finanzverbrechen verstrickte Fussball-Funktionär Jack Blazer einst so beschrieben: «Ich bin nur ein fetter Gangster aus Queens.»
Das Monster, das Blatter schuf
Die filmreifen Geschehnisse rund um Blatters 17-jährige Amtszeit als Präsident fasst die Serie ziemlich selbstbezogen zusammen: «Es war wie in einer FBI-Serie auf Netflix.» Das erste Kapitel des Vierteilers trägt allerdings einen Titel, der eher Assoziationen an «Star Wars» weckt: «The Rise of Sepp Blatter».
Im Grunde – das muss man Netflix zugutehalten – steckt auch alles drin, was grosses Kino auszeichnet: Der kometenhafte Aufstieg eines Unscheinbaren. Zweifelhaftes Streben nach Macht. Plus Vatermord – zumindest symbolisch, wenn man sieht, wie Blatter seinen Mentor João Havelange abservierte.
Fakt ist: Erst Blatter machte die Fifa durch Deals mit Coca Cola, Adidas und Vermarktungsagenturen zum Giganten. Was Havelange zu seinem berühmtesten Ausspruch inspirierte: «Sepp, du hast ein Monster erschaffen!»
Wie treffend diese Feststellung war, wurde spätestens im Herbst 2015 evident, als das FBI in Zürich zum Grossangriff blies.
Reuss oder Genfersee? Hauptsache Zürich!
Die spektakuläre Verhaftung diverser Fifa-Funktionäre im Hotel Baur au Lac steht folgerichtig im Zentrum der Miniserie. Dem Schweizer Publikum werden beim dramaturgischen Höhepunkt aber nicht nur wegen der Spannung die Haare zu Berge stehen. Sondern auch, weil Netflix bei Zürichs Bebilderung peinliche Fehler unterlaufen sind.
So folgen auf einen Drohnenflug über die Limmatstadt keine Nahaufnahmen von Zürcher Wahrzeichen, stattdessen schneidet die US-Produktion ans Reussufer, an dem das Luzerner Theater und die Jesuitenkirche stehen.
Gewässer ist Gewässer, dürften sich die geografisch indifferenten Macher gesagt haben. Hauptsache die Handlung bleibt im Fluss! Das würde wenigstens erklären, wie eine Totale von Montreux mit dem Schriftzug «Zurich, Switzerland» versehen werden konnte.
Streamingstart: 9.11.2022 auf Netflix