Wer an der Fussball-Weltmeisterschaft in Katar vor seinem Hotel einen geparkten Lieferwagen sieht, sollte sich vor Überwachung in Acht nehmen. Geheime Unterlagen, die «SRF Investigativ» vorliegen, zeigen Details von Spionageausrüstung des katarischen Staates. Darunter getarnte Hightech-Spionagefahrzeuge.
Die Lieferwagen mit dem Projekt-Codenamen «Mystery» dienen als mobile Überwachungsplattformen. Sie können Signale von drahtlosen WLAN-Netzwerken abfangen, heimlich Videos aufnehmen und Nummernschilder von Autos automatisch erkennen. Sie sind auch in der Lage, Handydatenverkehr und Telefonate in der Nähe zu überwachen.
Die Spionagelieferwagen sind nur eines von mehreren Beispielen aus einem Dokument, das von der amerikanischen Spionagefirma Global Risk Advisors erstellt wurde. Es stammt aus dem August 2014. Wie SRF schon vor zwei Wochen berichtete , hatte Global Risk Advisors im Auftrag Katars WM-Kritiker und hohe Fifa-Funktionäre bespitzelt. Das Unternehmen besteht massgeblich aus ehemaligen Mitarbeitern von US-Geheimdiensten und wird vom Ex-CIA-Spion Kevin Chalker geleitet.
Das nun enthüllte Dokument mit dem Titel «Katar befähigen» listet eine ganze Reihe von Programmen auf, die Katar in Geheimdienstaufgaben schlagkräftiger machen sollte.
SRF-Recherchen zeigen, dass Katar die erwähnten Lieferwagen tatsächlich gekauft hat.
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Weder die katarische Botschaft in Bern, noch das Kommunikationsamt der katarischen Regierung in Doha reagierte auf eine Anfrage von SRF. Global Risk Advisors beantwortete die Frage nicht, ob es sich um vorgeschlagene oder tatsächlich umgesetzte Programme handelt. Ein Sprecher der Sicherheitsfirma behauptet, die Dokumente seien gefälscht und die Vorwürfe «völlig falsch». Das Unternehmen hatte bereits zuvor bestritten, für Katar spioniert zu haben und die Echtheit von Dokumenten in Zweifel gezogen.
SRF hat mehrere Schritte unternommen, um die Authentizität der entsprechenden Unterlagen zu verifizieren. Die Nachrichtenagentur Associated Press berichtete zudem bereits letztes Jahr mit SRF übereinstimmend über einige der in dem Dokument beschriebenen Spionageprogramme.
Ein weiteres Projekt namens «Viper», das die amerikanische Spionagefirma vorgeschlagen hat, zielt auf die vertraulichen Daten in Smartphones. Das Programm soll den katarischen Behörden die Möglichkeit geben, Schwachstellen in Mobiltelefonen auszunutzen und Daten, Anruflisten sowie im Handy gespeicherte Kontakte zu stehlen.
In diesen Tagen reisen über eine Million Menschen in den kleinen Wüstenstaat. Darunter hochrangige Personen wie der Schweizer Finanzminister Ueli Maurer.
Dass WM-Besucher ausspioniert werden könnten – diese Befürchtungen befeuert ein weiterer Plan von Katar und Global Risk Advisors, über den die Nachrichtenagentur Associated Press vor wenigen Wochen berichtete .
Die Associated Press enthüllte, wie in Katar ein Überwachungssystem hätte installiert werden sollen, das alle Telefone im Land genaustens nachverfolgt. Zudem sollte eine App für die Weltmeisterschaft programmiert werden, welche die Bewegungen der Benutzer aufzeichnen würde. Gemäss der Nachrichtenagentur erhielt das Projekt mindestens vorläufige Billigung aus Katar. Ob es umgesetzt wurde, ist unklar.
Zwei Apps, die für den WM-Besuch obligatorisch sind, geben internationalen IT-Experten derweil Anlass zur Sorge. Die offizielle Covid-Tracing-App und die WM-Ticket-App verlangen beinahe umfassenden Zugriff auf das Handy des Users.
Schweiz warnt Beamte vor Überwachung – aber nicht die Bevölkerung
Die Schweizer Bundesverwaltung hat deshalb die beiden Apps auf Geschäftshandys gesperrt und ihren Mitarbeitenden empfohlen, das private Smartphone zu Hause zu lassen und nur ein privates «Billig-Smartphone» mitzunehmen.
Eine Warnung an die breite Bevölkerung blieb aber aus. In den offiziellen Reisehinweisen des Aussendepartements findet sich nichts über die Gefahr vor Spionage für die Schweizer, die nach Katar reisen. Mittlerweile hat Katar gemäss staatlichen Websites eine Möglichkeit geschaffen, auch ohne die beiden Apps einzureisen und Spiele zu besuchen.
Trotz Angriffen auf Bundesräte: Maurer reist nach Katar
Ein Schweizer Regierungsmitglied – Bundesrat Ueli Maurer – plant offenbar weiterhin, Katar zu besuchen. Eine entsprechende Anfrage wollte sein Sprecher nicht kommentieren. Maurer hatte schon zuvor angekündigt, an die WM zu reisen. Auf die Frage, wie man sicherstellen könne, dass Maurer nicht Opfer von Spionage werde, sagt sein Sprecher: «Wir äussern uns nicht zu Sicherheitsvorkehrungen von Magistratspersonen.»
Letzte Woche berichtete die britische «Sunday Times» , dass ein globales Hacker-Netzwerk mit Verbindungen zu Katar die Bundesräte Alain Berset und Ignazio Cassis ins Visier genommen habe. Katar bestritt den Vorwurf.
Eigene Spione haben Angst vor Überwachung in Katar
Angst vor Überwachung in Katar haben die, die es am besten wissen müssen. Die Spione, die selbst für Katar arbeiteten. Ausgerechnet ein weiteres Dokument der Spionagefirma zeigt, wie ernst die Gefahr ist. Global Risk Advisors verteilte das Papier an neue Mitarbeiter, die nach Katar reisten. Ins Land ihres Auftraggebers. Also in freundliches Gebiet – sollte man meinen.
Doch das Dokument macht klar, dass die amerikanische Spionagefirma Katar nicht als freundliches Terrain sah, obwohl sie selbst für Katar arbeitete.
«Sei dir der Möglichkeit bewusst, dass du das Ziel von jemandem bist», steht darin. Als Gegner werden «staatliche Nachrichtendienste» genannt. Es folgt eine Reihe von Verhaltensregeln, die das Risiko von Überwachung minimieren sollen. Den Mitarbeitern von Global Risk Advisors wird beispielsweise empfohlen, Wegwerf-Mail-Adressen einzurichten. Weiter solle man in Katar unter einem Vorwand das zugeteilte Hotelzimmer wechseln. Offensichtlich aus Angst davor, verwanzt zu werden.
Mit biometrischen Daten «Dominanz» über Migranten erreichen
Mehrere der vorgeschlagenen Spionageprogramme im Dokument zielen auf die Gastarbeiter, die die WM-Stadien in teilweise sklavenähnlichen Bedingungen bauten. Ein Programm namens «Pickaxe», bestehend aus Background-Checks und der Sammlung von biometrischen Daten, soll Katar «Dominanz» über die Wanderarbeiter sichern. Das Programm mit dem Codenamen «Falconeye» wiederum versprach dem katarischen Innenministerium eine Flotte von Drohnen für den Einsatz im Inland.
Einer der genannten Aufgaben: «Kontrolle von Bevölkerungszentren von Gastarbeitern.»