Man kennt das: Man geht auf eine Party, wo man niemanden kennt und wenn es schlecht läuft, wird es ein sehr einsamer Abend, obwohl man von Menschen umgeben ist. So ähnlich geht es der Heldin der Science-Fiction-Serie «Pluribis».
Als die Bestseller-Autorin Carol Sturka mit ihrer Freundin Helen nach einer Lesereise einen Zwischenstopp in einer Bar macht, passiert es: Helen und die anderen Gäste verfallen in Krämpfe, sind nicht ansprechbar. Nur Carol ist nicht betroffen.
Helen stirbt, die anderen Menschen erwachen nach kurzer Zeit und verhalten sich seltsam ruhig. Carol flieht mit der Leiche ihrer Freundin nach Hause.
«Wir» statt «Ich»
Es stellt sich heraus: Die Menschheit hat sich durch einen ausserirdischen Virus in ein Kollektiv mit Schwarmintelligenz verwandelt. Alle sind miteinander telepathisch verbunden. Jeder weiss alles und kennt jeden – auch Carol. Sie wollen nichts Böses. Sie wollen sie «heilen» und ins Kollektiv integrieren. Doch das will sie nicht.
Das infizierte Kollektiv ist anders als in ähnlichen Science-Fiction- oder Horror-Filmen. Es ist nett, zufrieden, effizient und vor allem friedlich. Heldin Carol ist das Gegenteil. Stur und aggressiv. Als sie einmal wütend wird, fällt die Menschheit in Schockstarre. Einige Mitglieder des Kollektivs sterben sogar.
Geschrieben hat «Pluribis» Vince Gilligan. Den Namen kennt vielleicht nicht jeder. Seine Arbeit schon. Für viele gelten seine witzig-tragischen Krimiserien «Breaking Bad» (der Chemielehrer Walter White wird zum Methamphetamin-Drogenbaron) und der Ableger «Better Call Saul» (die Geschichte des Strafverteidigers Saul Goodman) mit als das Beste, was der Serien-Boom der 2010er-Jahre hervorgebracht hat. Vince Gilligan räumte mit den Shows bei den Golden Globes und dem Emmys ab.
Wer geglaubt hatte, Vince Gilligan würde jetzt mit einem weiteren Krimi um die Ecke kommen, lag falsch. Denn lange vor «Breaking Bad» war er Autor bei der Mystery-Serie «X-Files» (die FBI-Agenten Mulder und Scully ermitteln in paranormale Fällen).
Dass er absurd und übernatürlich kann, bewies er in der ersten Folge, die er schrieb («Soft Light»). Es ging es um einen Mann, der Angst vor seinem Schatten hat, weil dieser Menschen töten konnte. Bei «Pluribus» erinnert sich Vince Gilligan an seine «phantastische» Vergangenheit.
Was bei «Pluribus» an «Breaking Bad» erinnert, ist der Ort der Handlung (Albuquerque, New Mexico) und die Hauptdarstellerin Rhea Seehorn (die Kim Wexler aus «Better Call Saul»).
Allein oder gemeinsam?
«Pluribus» wagt sich ins gesellschaftsphilosophische. Normalerweise ist der Konsens, dass Individualität alles ist und nichts schrecklicher als eine uniforme Masse. Das stellt «Pluribus» in Frage. Weil die Menschheit jetzt ein Kollektiv sei, gäbe es Weltfrieden, stellt irgendwer irgendwann mal fest.
Die, die stresst, ist Carol. Mit ihrer Aggressivität erinnert sie an Hater aus dem Internet, populistische Politiker oder unzufriedene Wutbürger, die niemandem trauen oder glauben.
Trotzdem: das glücklich-gleichmütige Kollektiv macht einem Angst. Er wirkt zu perfekt. Deshalb mag man die aufbrausende und unzufriedene Heldin.
«Pluribus» ist spannend, creepy, absurd, witzig und wird wohl der nächste Hit von Vince Gilligan. Die zweite Staffel ist bereits bestellt.
«Pluribus» läuft auf Apple+.