Auch Reiche können ja mal einen «Scheisstag» haben: so wie James Beaufort, einer der Protagonisten aus «Maxton Hall». Auch er kann mal die Fassung verlieren, sich hemmungslos besaufen und seine grosse Liebe betrügen. Das kann jedem mal passieren.
Wenn‘s um Gefühle geht, sind wir doch alle gleich. Dies zumindest suggeriert der Beginn der zweiten Staffel «Maxton Hall». Die Fortsetzung der Amazon-Prime-Serie schliesst mit diesem unterkomplexen Motto nahtlos an die weltweit erfolgreiche erste Staffel an.
Diese hatte noch mit dem Satz begonnen: «Wir alle haben die Macht, unser Schicksal selbst zu formen.» Damit war sowohl das Niveau der Dialoge gesetzt als auch das ideologische Programm der Serie: Die romantisierte Erzählung vom individuellen Aufstieg.
Grosse Gefühle und grosse Chancen
Ruby Bell, Stipendiatin aus der unteren Mittelschicht, trifft auf der Eliteschule Maxton Hall auf James Beaufort, einen versnobten Erben. Trotz anfänglicher Abneigung spüren beide eine gewisse Anziehung zueinander.
Es entwickelt sich eine an Kitsch kaum zu übertreffende Liebesgeschichte. Nebenbei muss sich Ruby zudem in der Welt der Privilegierten behaupten. In «Maxton Hall» soll es um die grossen Gefühle und die grossen Chancen gehen. Tatsächlich geht es um Figuren, die eigentlich nicht mehr als wandelnde Klischees sind, gefangen in einer Storyline, die suggeriert, dass sich Ungleichheit durch gegenseitiges Verständnis heilen liesse.
Doch woher kommt die weltweite Resonanz auf die Serie? Die erste Staffel stand in 120 Ländern auf Platz 1 der meistgestreamten Serien. Runa Greiner aus dem Cast vermutet, dass sich viele junge Menschen in diesen «nicht gerade besten Zeiten auf unserer Welt» nach einer zumindest kurzen Realitätsflucht sehnen. Eskapismus also in eine heile Welt der traditionellen Muster?
Konservatives Weltbild in modernem Gewand
Trotz aller Märchenhaftigkeit will «Maxton Hall» angemessen zeitgeistig daherkommen. Der Cast ist divers, Body Positivity und Mental Health werden thematisiert, der Vater von Ruby Bell sitzt im Rollstuhl. Und letztlich soll der Bildungsaufstieg der Protagonistin aus einfachen Verhältnissen auch eine Art «Female Empowerment» darstellen.
Das alles wird allerdings so plakativ und ohne jegliche Zwischentöne verhandelt, dass man bei den Dialogen auch denken könnte, sie seien besonders schlecht synchronisiert worden. Dabei ist «Maxton Hall» eine deutsche Produktion und wir hören die Originalsprache Deutsch, wenn Ruby Bell ihrem Lover an den Kopf wirft: «Es ist nicht mein verdammter Job, dich glücklich zu machen.»
Feuilleton-Debatte als Nebelkerze?
Der Produzent der Serie, Markus Brunnemann, verteidigt «Maxton Hall» und die Buchvorlage, indem er die feuilletonistische Unterscheidung zwischen Unterhaltung und ernsthafter Literatur kritisiert. Aber geht es wirklich um diese Unterscheidung, die ja zweifellos nicht mehr zeitgemäss ist?
Oder geht es eigentlich darum, dass sich die Serie als pseudomodernes Märchen für junge Menschen inszeniert? Tatsächlich aber das Produkt eines bestimmten, vielleicht traditionell deutschen Verständnisses von Unterhaltung ist, nach dem man das Publikum ohnehin für eher einfach gestrickt hält – und zugleich ein fragwürdiges Weltbild propagiert. Ob es für die kurze Weltflucht reicht?