Im Film «Heimatland» braut sich eine riesige, bedrohliche Wolke über der Schweiz zusammen. Das Land versinkt in Chaos und Anarchie. Was faszinierte Sie an dieser Idee?
Benny Jaberg: Die Wolke ist vor allem der Katalysator der Handlung. Sie wirft einen Schatten auf die Schweiz, die sich selbst gerne als hell erleuchtet sieht. Innerhalb dieses Settings sind verschiedene Deutungen möglich. Jeder soll selbst entscheiden, ob er die Wolke als Damoklesschwert sieht, als grosse Schuld oder einfach nur als Einladung für einen ausschweifenden filmischen Trip.
Wie sind Sie zu diesem Projekt gekommen?
Tobias Nölle: Die Idee stammt von Michael Krummenacher und Jan Gassmann. Sie haben uns angefragt, bei «Heimatland» mitzumachen. Jeder Regisseur sollte eine Figur kreieren und erforschen, was sie in der Situation erlebt, wie sie funktioniert. Das hat mich gereizt. Wir wollten damit unser persönliches Empfinden zur aktuellen Schweiz visualisieren.
Ist während den Dreharbeiten etwas passiert, mit dem Sie nicht gerechnet hätten?
Benny Jaberg: Überrascht hat mich vor allem, dass unser Film im Laufe der Dreharbeiten von der Realität überholt wurde. Der Startpunkt des Projekts liegt gut fünf Jahre zurück – die nationale und europäische politische Lage war noch nicht derart zugespitzt wie heute. Wir wollten einen kritischen Blick auf die Schweiz werfen. Doch es war nie unser Ziel, mit einer eindeutigen Botschaft um uns schlagen. Michael Krummenacher und Jan Gassmann hatten ein sehr gutes Gespür für die politische Entwicklung. Am Anfang kamen mir einzelne Aspekte ihrer Idee übertrieben vor, doch die Zeit hat ihnen Recht gegeben. Leider.
Tobias Nölle: Das stimmt, erst während dem Machen des Films spürten wir die Dringlichkeit des Themas. Alles wurde immer aktueller. Das war mir überhaupt nicht bewusst, als ich zugesagt habe. Ich wusste, wir drehen einen Film über die Schweiz, doch erst die politische Entwicklung hat unser Projekt zu einem Statement gemacht.
Welche Reaktionen haben Sie auf den Film erhalten?
Tobias Nölle: Sehr unterschiedliche. Ich persönlich erhalte viel Kritik auf der künstlerischen Ebene. Manche finden den Film zu plakativ, andere genau richtig. Auch ich selbst hatte anfangs Mühe mit der Direktheit des Films. Doch sie hat uns dabei geholfen, mit dem Film wirklich eine Diskussion auszulösen, statt unsere Anliegen mit einem subtilen Kunstfilm ins Leere laufen zu lassen. Wir alle mussten grosse Abstriche machen, doch das hat schlussendlich eine Klarheit in der Aussage ermöglicht.
Benny Jaberg: Wir haben das Land umarmt, indem wir sehr kritisch damit umgegangen sind. Das sollte all denen zu denken geben, die den Vorwurf des Nestbeschmutzers an uns richten. Nähe, Zuneigung und Kritik sind oft verwandt. Wenn einem etwas egal ist, reibt man sich nicht daran. Man hat die Hoffnung, dass so ein Film ein bisschen etwas bewirkt. Und zwar nicht nur bei den Leuten, die ohnehin der gleichen Meinung sind.
Was wünschen Sie sich für die Schweizer Filmlandschaft?
Tobias Nölle: Schweizer Künstler haben nur selten den Mut, ein Statement abzugeben. Es gilt als didaktisch und ist deswegen verpönt. Der Film hat mich diesbezüglich zum Umdenken angeregt. Und ich würde mir wünschen, dass auch andere Regisseure sich trauen würden, ihre Meinung zu sagen. Auch wenn sie dafür viel Kritik ernten. Das Kino ist eines der stärksten Mittel, um in der Bevölkerung etwas auszulösen. Ich wünsche mir, dass sich dieses Bewusstsein wächst, und dass auch andere daran glauben, dass sie einen Dialog anstossen können.
Was bedeutet der Schweizer Filmpreis für Sie?
Tobias Nölle: Ich finde es toll, wenn der Schweizer Filmpreis ein Projekt würdigt, bei dem sich zehn Leute zusammengeschlossen haben. Wir alle sind isolierte Künstler. Dass Michael Krummenacher und Jan Gassmann es geschafft haben, uns zu diesem Projekt zu vereinen, finde ich historisch. Zu zehnt sind wir stärker – diese Botschaft könnte in der Schweiz künstlerisch etwas verändern. Zudem hat uns der Preis auch zu Aufmerksamkeit im Ausland verholfen. Da ich mich als Schweizer Filmemacher sonst sehr isoliert fühle, finde ich das wertvoll.
Benny Jaberg: Es freut mich schon, dass der Film wahrgenommen wird. Ich habe die Hoffnung, dass unter Filmschaffenden die Kultur der Missgunst abnimmt, dass man sich wieder von Herzen für jemand anderes freuen und sich gegenseitig unterstützen kann – sei es ideell oder tatkräftig. Es ist ein Glück, wenn man bei einer Gelegenheit wie dem Schweizer Filmpreis einmal kurz auftauchen und sich austauschen kann. Sonst arbeitet man über weite Strecken isoliert und leidet allein.