Ihr Film «Köpek» handelt von der Suche nach Liebe, von Gewalt und von der modernen türkischen Gesellschaft. Was fasziniert Sie an diesem Thema?
Die Türkei spielt eine wichtige Rolle in meinem Leben. Ich bin in Istanbul geboren und aufgewachsen, meine Familie und Verwandten leben in der Türkei. Ich sehe ein Land auf der Suche nach seiner Identität und seinen Werten. Dabei beobachte ich gefährliche Tendenzen, die dem modernen Zeitgeist widersprechen.
Die Gewalt an Frauen etwa ist weit verbreitet. Auch Diskriminierungen von Transsexuellen und Homosexuellen sind keine Seltenheit. Die konservative Regierungspolitik trägt kaum dazu bei, dies zu verändern. Patriarchalisch denkende Männer regieren das Land. Und doch fühle ich, dass die Menschen in der Türkei hungrig sind nach Liebe. Deshalb suchen auch meine Figuren im Film danach.
Wie sind Sie zu diesem Projekt gekommen?
2008 unternahm die italienische Künstlerin Pippa Bacca eine «Friedensreise» in Richtung Nahen Osten. Sie trug ein weisses, selbstgenähtes Brautkleid und wollte es bis zum Ende ihrer Reise anbehalten, «mit all den Flecken, die es während der Reise annimmt». Sie hat sich ganz bewusst dazu entschieden, per Anhalter zu reisen, um ihr Vertrauen in fremde Menschen auszudrücken. In der Türkei wurde sie vergewaltigt, getötet und in einem Wald begraben.
Nach ihrem Tod wurde in der Türkei viel darüber berichtet und gesprochen. Viele haben sie als naiv bezeichnet. Sie sei selber schuld an ihrem Schicksal, schliesslich sende eine junge Frau in einem Brautkleid eine Einladung aus. Diese Reaktionen waren der Auslöser für «Köpek». Ich wollte die Verbindung zwischen dem Täter und der Gesellschaft sichtbar machen.
Ist während der Dreharbeiten etwas passiert, mit dem Sie nicht gerechnet hätten?
Die Dreharbeiten waren immer wieder schwierig. Als wir etwa die Schlussszene gedreht haben, in der Ebru von Männern belästigt wird, wurden wir von etwa 30 Männer attackiert. Ihr Vorwurf: Wir würden die Türkei mit einer Schwuchtel repräsentieren.
Welche Reaktionen haben Sie auf den Film erhalten?
Unterschiedliche. Nach Vorführungen, bei denen ich persönlich anwesend war, bin ich einem sehr berührten Publikum begegnet. Die Presse hat den Film sehr positiv aufgenommen und Amnesty International hat ihn in die Kampagne «Nein zur Gewalt an Frauen und Homosexuellen» integriert. Es gibt aber auch immer wieder Kritik von Zuschauern, die den Schluss des Films zu brutal finden.
Was wünschen Sie sich für die Schweizer Filmlandschaft?
Ich wünsche mir Filme, die uns die Welt öffnen. Filme, die uns mit anderen Orten und Menschen verbinden, uns zeigen, was wir alle ahnen, aber nicht sehen können. Regisseure sollten sich trauen, aus der Schweiz hinaus über ein weites Meer zu fliegen. Dazu gehört ein aktives und offenes Publikum. Und ich wünsche mir Medien und Förderer, die neugierig bleiben und Schweizer Filme unterstützen.
Was bedeutet der Schweizer Filmpreis für Sie?
In «Köpek» habe ich versucht, das Dreieck zwischen Opfer, Täter und Zuschauer aufzuzeigen. Das Publikum sollte auf eine gewisse Weise den Part der Zuschauer übernehmen – die Rolle der Gesellschaft, die einfach zuschaut und nicht handelt. Dass dieses Experiment von Berufskollegen anerkannt wird, finde ich sehr schön.