«Am meisten hat mir das Kochspiel gefallen», sagt ein Mädchen am Ende dieses sonnigen Nachmittags in einem umfunktionierten Restaurant in der Stadt Bern. «Einmal hat die Küche gebrannt!»
Am Ende des Kurstages bleibt den Kindern vor allem der Spass in Erinnerung – so soll es auch sein. Dass sie nebenbei an ihrer Persönlichkeitsentwicklung, an Fähigkeiten wie Teamgeist und Kreativität und an einem inklusiven Umgang mit anderen Kindern gearbeitet haben, merken sie kaum.
Das ist die Magie von Videospielen: Sie machen Spass, bauen Brücken und bieten damit eine ideale «Lernarena», wie Kursleiterin Cristina Gerber erklärt.
Kinder entdecken ihre Superkräfte
Cristina Gerber vom Netzwerk Grenchen entwickelt Ansätze, wie Gaming in der Arbeitsintegration eingesetzt werden kann, um Stärken zu finden und zu fördern.
Rund 15 Kinder aus dem «Cooltour»-Sommercamp erhalten an diesem Tag eine kindgerechte Variante des Programms. Sie wählen ihre Avatare und benennen ihre «Superpower». Ein Mädchen zum Beispiel ist besonders hilfsbereit, ein anderes kann besonders gut zeichnen.
Im Spiel lernen sie, ihre «Superpower» einzusetzen. Am Morgen gestalten sie eine eigene Stadt auf der Nintendo Switch, die sie dann ihren «Gspändli» präsentieren. Am Nachmittag ist freies Spiel angesagt. Die einen messen sich im «Mariokart» oder im «Let’s Dance», andere kochen zusammen in «Overcooked».
Coaches unterstützten sie dabei, erklären die Spiele und ermutigen dazu, mehr zusammenzuarbeiten. Letzteres ist gar nicht so einfach: Schliesslich kennen sich die Kinder nicht, unterscheiden sich in ihrem Alter und haben zum Teil kognitive Beeinträchtigungen. Doch beim gemeinsamen Gamen wächst man schnell zu einem Team zusammen, Unterschiede sind bald vergessen.
Cristina Gerber sieht genau darin eine der Stärken von Games im Coaching: «Egal mit welchem Hintergrund man kommt, sobald man gemeinsam ‹gamet›, etwas gemeinsam erlebt, kann man gemeinsam diskutieren und reflektieren.»
Menschen mit Defiziten merken: Ich bin nicht ausserhalb.
Auch ihr Kollege Marc Lehmann, der sich selbst als «Nicht-Gamer» bezeichnet, hat besonders in der Arbeit mit Menschen mit Verhaltensauffälligkeiten positive Erfahrungen mit Videospielen gemacht: «Das hat viel mit Selbstwert zu tun. Menschen, die sich anderswo ausgegrenzt vorkommen, können in einem Game mithalten. Es gibt Beziehungen, eine gemeinsame Sprache. Das fördert Menschen mit Defiziten. Sie merken: Ich bin nicht ausserhalb.»
Gaming schlägt Brücken
Beim «Cooltour»-Sommerlager kommen Kinder mit und ohne Beeinträchtigung zusammen. Kinder, die noch nie mit Menschen mit körperlichen oder kognitiven Einschränkungen zu tun hatten, treffen auf Kinder, die seit Jahren eine Sonderschule besuchen. Für beide Seiten ist es eine neue Erfahrung, auf Augenhöhe zusammenzutreffen und inklusiv an der Aare zu zelten und gemeinsam Kurse wie diesen zu besuchen.
Gaming schlägt hier mit Leichtigkeit eine Brücke. Gerade Spiele wie «Mariokart» sind für Menschen von Jung bis Alt und verschiedenste Fähigkeitslevels geeignet. In Kooperationsspielen wie «Overcooked» kann das Kind mit Trisomie 21 ebenso zum Erfolg der Gruppe beitragen wie die erwachsene Studentin.
Später könne diese Erfahrung den Kindern helfen, den Sprung in den ersten Arbeitsmarkt zu schaffen, hofft der Campgründer Jonas Staub: «Viele junge Menschen mit Beeinträchtigung, die vielleicht in eine Sonderschule gehen, machen hier erstmals wirklich positive Erfahrungen mit Inklusion: ‹Ich bin jemand, ich gehöre voll dazu. Es wird auch etwas verlangt von mir, ich werde nicht über-betreut oder für schwach befunden. Ich habe eine Verantwortung›.»
Gamen ohne Barrieren
Games sind ganz grundsätzlich inklusiv. Hier kann jede und jeder ein Flugzeug fliegen oder die Karibik entdecken. Theoretisch. Denn leider sind viele Games noch nicht barrierefrei. Es geht aber in die richtige Richtung: Immer häufiger gibt es «Accessibility»-Einstellungen im Spiel, zum Beispiel Untertitel oder vereinfachtes Gameplay, oder auch spezielle Hardware wie anpassbare Controller.
Hilfsmittel für barrierefreies Gaming
Dass Games immer zugänglicher werden, ist eine erfreuliche Entwicklung. Im Internet berichten Jugendliche und Erwachsene mit körperlicher oder kognitiver Einschränkung, was ihnen Gaming als Hobby alles gibt: Soziale Teilhabe in online Communitys, eine Freizeitbeschäftigung, bei der sie nicht auf Hilfe angewiesen sind oder Erfolgserlebnisse.
Das gibt es in der Sonderschule nicht.
Zudem gehört Gaming heute einfach dazu, sie sind eines der wichtigsten kulturellen Medien unserer Zeit: Über 65 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer spielen ab und zu ein digitales Spiel. So wie Sport, Lesen oder Reisen ihren Platz in unserem Leben haben, gehören heutzutage auch die Videospiele dazu.
Das sollte für Menschen mit und ohne Beeinträchtigung genau gleich gelten, betont Jonas Staub: «Wir hatten schon oft Kinder mit Beeinträchtigung, die sich genau für das Gaming angemeldet haben, weil sie sagten: ‹Das gibt es bei uns in der Sonderschule nicht. Bei uns gibt es Leben in der Natur, Erfahrungen mit Wolle, Arbeiten mit Holz … hier gibt’s Gamen›. Sie denken: ‹Endlich gibt’s das mal für mich!›»
Im Gaming steckt viel Potenzial
Man kann Gamen verteufeln – oder man kann es nutzen, meint Marc Lehmann: «Mir ist bewusst geworden, dass das bei vielen Menschen – von Jung bis Alt – einen grossen Teil der Freizeit ausmacht. Das ist Potenzial, das brachliegt.»
Die Inklusionsspezialisten und Pädagoginnen sehen Potenzial. Die Kinder sehen an diesem Nachmittag in Bern vor allem den Spass.
«Und was hat euch heute nicht gefallen?», fragt Kursleiterin Cristina Gerber. «Dass wir aufhören mussten», ruft ein Junge.
Wir sind deine Korrespondenten aus der digitalen Welt. Ist ein Chip drin oder hängt es am Internet? Wir berichten wöchentlich. Smartphones, soziale Netzwerke, Computersicherheit oder Games – wir erklären und ordnen Digitalisierungs-Vorgänge ein, seit 2006
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