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Abschluss DEKT 2025 Evangelischer Kirchentag: Mut machen in Zeiten der Verunsicherung

«Mutig, stark, beherzt» war die Losung des Kirchentags 2025 in Hannover. 150'000 Menschen traten ein für gesellschaftliche Vielfalt, Menschenrechte und Demokratie. Für christlichen Pazifismus aber fehlte der Mut.

Seit 75 Jahren gibt es die «Zeitansagen» vom Kirchentag. Immer kommt auch die politische Führungsspitze Deutschlands. Ein Ziel des Kirchentags 2025: Demokratie stärken und Orientierung geben in einer sinnkriselnden Zeit.  

Mann im Anzug mit rotem Schal, hält ein Mikrofon.
Legende: 39. Deutscher Evangelischer Kirchentag: Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz im Podiumsgespräch – dem fünf Minuten Applaus mit stehenden Ovationen für ihn folgten. imago images/Bernhard Herrmann

Das gefiel auch Kanzler Olaf Scholz (SPD), der selbst kein Kirchenmitglied mehr ist. Das Podiumsgespräch mit Scholz am Deutschen Evangelischen Kirchentag war einer seiner letzten Auftritte als Kanzler: Das linksbürgerliche Milieu hier hörte ihm zu, lachte über seine hanseatischen Scherze und spendete überraschend viel Beifall.

Dabei war es Olaf Scholz, der das Wort «Zeitenwende» prägte. Und seine Regierung erklärte Aufrüstung für alternativlos. Das stösst einigen Christinnen und Christen immer noch bitter auf.

Ihre Gegenlosung: «Friedensfähig statt kriegstüchtig» werden. Aufrüstung schaffe weder Frieden noch passe sie zur Feindesliebe und Gewaltfreiheit des Jesus von Nazareth. So vertrat es die prominenteste Theologin Deutschlands Margot Kässmann.

Bergpredigt Jesu war nicht mehrheitsfähig

Alt-Bischöfin Kässmann eröffnete darum eine kleine ökumenische Friedenssynode ausserhalb des offiziellen Kirchentags. Am 1. Mai und im Gewerkschaftshaus von Ver.di lancierten christliche Pazifistinnen und Pazifisten ihren «Friedensruf von Hannover 2025». Mit dabei war der reformierte Schweizer Theologe Matthias Hui: Für Hui gehört der Gewaltverzicht zur Kernbotschaft Jesu, ebenso die soziale Gerechtigkeit.

Person in orange Weste vor Plakat mit Schaf und Gewehr.
Legende: «Friedensruf 2025»: In einer kleinen ökumenische Friedenssynode wird zum Gewaltverzicht aufgerufen. SRF/Judith Wipfler

Der offizielle Kirchentag lehnte derweil eine Anti-Atomwaffen-Resolution ab. Genau umgekehrt war das in den 80er-Jahren: 1984 sprach der Kirchentag ein eindeutiges «Nein zur Stationierung von Nato-Waffen» aus.

Der 39. Deutsche Evangelische Kirchentag 2025 in Zahlen

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  • rund 1500 kulturelle, geistlich-liturgische und gesellschaftspolitische Veranstaltungen
  • rund 5000 freiwillige Helferinnen und Helfer
  • über 150'000 Teilnehmende, rund 65'000 davon sind Dauergäste
  • Schlafen und Duschen in der Turnhalle: Die Unterbringung erfolgt neben Hotels «traditionell» in Schulen, Kirchgemeindehäusern und Privatquartieren.
  • Hannover ist zum fünften Mal Gastgeberin des DEKT: Als «Hauptstadt des Protestantismus» ist Hannover Sitz der Evangelische Kirche in Deutschland EKD und des reformierten Weltbunds, wozu auch die Evangelisch-reformierte Kirche der Schweiz EKS gehört.

Dahinter stehen zwar bis heute alle evangelischen Landeskirchen, die täuferische Friedenskirche sowieso und die römisch-katholische Kirche. Beim Kirchentagsvolk aber fiel die Abrüstungsforderung jetzt durch.

Zeichen für Vielfalt

Der Kirchentag bleibe trotzdem politisch und wichtig, meint die queer-katholische Intellektuelle Geneva Moser aus der Schweiz. Dankbar erlebe sie hier christliche Solidarität mit der LGBTQI+ Community angesichts von Hass und Gewalt.

«Gott ist queer» – für diesen Satz erntete Pastor Quinton Ceasar am Kirchentag 2023 einen Shitstorm von Rechtsaussen, aber auch aus der konservativen Mitte. 2025 doppelt der Kirchentag mutig nach: Die Abschlusspredigt hält diesmal die non-binäre, amerikanisch-deutsche Person namens Hanna Reichel.

Person spricht am Rednerpult bei einer Veranstaltung, umgeben von Publikum.
Legende: Hanna Reichel hält die Abschlusspredigt beim DEKT 2025: Am Deutschen Evangelischen Kirchentag wurde nicht nur gefeiert, sondern auch über aktuelle gesellschaftliche Themen debattiert. imago images/epd-bild/Thomas Lohnes

Das soll zeigen: «Mutig, stark und beherzt» wollen die rund 150'000 Teilnehmenden Vielfalt, Menschenwürde und Demokratie schützen, vor allem im eigenen Land, wie es scheint.

Die kirchliche «Brandmauer» steht

Die AfD wurde dazu nicht eingeladen. Zum breiten und offenen Gesellschaftsdialog – wie sonst an Kirchentagen – kam es so aber nicht.

Der globale Rechtsruck, die Klimakrise, neue Kriege, die Hölle in Nahost – das alles diskutierte der Kirchentag in rund 1500 Einzelevents, auf Podien und in Gottesdiensten. Allein: Dieses affirmative Beschwören von Mut und Beherztheit – es könnte Beleg sein für tiefe, weltanschauliche Verunsicherung, auch in den Kirchen.

Über den Deutscher Evangelischen Kirchentag

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  • Das grösste christliche Laientreffen Deutschlands, der Deutsche Evangelische Kirchentag (DEKT), findet alle zwei Jahre statt und dauert vier Tage. Im Spitzenjahr 1954 waren über eine halbe Million Menschen am damals letzten gesamtdeutschen DEKT in Leipzig.
  • Prominente aus Kultur und Spitzenpolitik lassen sich blicken, etwa Barack Obama und der Dalai Lama. Alt-Kanzlerin Angela Merkel ist Stammgast.
  • Erstmals 1949 in Hannover: Nach dem physischen und moralischen Zusammenbruch Deutschlands und seiner Kirche – nach Weltkrieg, Shoah und NS-Zeit – initiierten kirchliche Laien die «evangelische Woche».
  • Experimentierlabor für Kirche: Neue Lieder, neue Gottesdienstformen, feministische Theologie und christlich-jüdischer Dialog wurden hier entwickelt und später in Ortskirchen und Universitäten etabliert.
  • «Zeitansagen»: zu Klimaschutz, Krieg, sozialer Gerechtigkeit und aktuell drängenden Fragen wie Rassismus und Antisemitismus; Resolutionen des DEKT dazu finden mediale Verbreitung.
  • «Bunter» Kirchentag: LGBTQI+-Andacht und Klimademo werden hier begleitet von Posaunenchor, Orgel und Schlagzeug.
  • Aus der Schweiz in Hannover sind: die Thurgauer Kirchenpräsidentin Prof. Christina Aus der Au (Leitungsmitglied DEKT), der Mystiker Pierre Stutz, Theologe Thorsten Dietz, Regenbogen-Pfarrerin Priscilla Schwendimann und Evelyne Baumberger von RefLab

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 5.5.2025, 7:06 Uhr

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