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Evangelischer Kirchentag 2025 Politisch wie lange nicht: Kirchentag in Kriegs- und Krisenzeiten

Über 100'000 Menschen versammeln sich in Hannover zum 39. Deutschen Evangelischen Kirchentag. Ihre Meinungen zu Krieg und Frieden gehen auseinander, auch bezüglich Nahost.

Der Deutsche Evangelische Kirchentag DEKT wollte immer «Zeitansage» sein. Der erste fand 1949 im zerbombten Deutschland statt: «Nie wieder!» – dieses Motto prägte den Kirchentag.

Deutscher Evangelischer Kirchentag DEKT

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  • Das grösste christliche Laientreffen Deutschlands findet alle zwei Jahre statt und dauert 4 Tage. Im Spitzenjahr 1954 waren über eine halbe Million Menschen am damals letzten gesamtdeutschen DEKT in Leipzig.
  • Prominente aus Kultur und Spitzenpolitik lassen sich blicken, etwa Barack Obama und der Dalai Lama. Alt-Kanzlerin Angela Merkel ist Stammgast.
  • Erstmals 1949 in Hannover: Nach dem physischen und moralischen Zusammenbruch Deutschlands und seiner Kirche – nach Weltkrieg, Shoah und NS-Zeit – initiierten kirchliche Laien die «evangelische Woche».
  • Experimentierlabor für Kirche: Neue Lieder, neue Gottesdienstformen, feministische Theologie und christlich-jüdischer Dialog wurden hier entwickelt und später in Ortskirchen und Universitäten etabliert.
  • «Zeitansagen»: zu Klimaschutz, Krieg, sozialer Gerechtigkeit und aktuell drängenden Fragen wie Rassismus und Antisemitismus; Resolutionen des DEKT dazu finden mediale Verbreitung.
  • «Bunter» Kirchentag: LGBTQI+-Andacht und Klimademo werden hier begleitet von Posaunenchor, Orgel und Schlagzeug.
  • Aus der Schweiz in Hannover sind: die Thurgauer Kirchenpräsidentin Prof. Christina Aus der Au (Leitungsmitglied DEKT), der Mystiker Pierre Stutz, Theologe Thorsten Dietz, Regenbogen-Pfarrerin Priscilla Schwendimann und Evelyne Baumberger von RefLab

1983 sagte die Kirchentagsbewegung klar «Nein zu Massenvernichtungswaffen». Sie demonstrierte wiederholt gegen Aufrüstung. Doch heute, im Jahr 2025, scheinen die Kirchenmenschen verunsichert in ihrem Jesus-Pazifismus.

Redner wie Noch-Kanzler Olaf Scholz und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier geben mit ihrem Stichwort «Zeitenwende» die Stimmung am Kirchentag vor. Und die sieht Aufrüstung als Gebot der Stunde.

Wohl werden die Resolutionen des Kirchentags mehr Nothilfe und Friedensdiplomatie einfordern. Christlicher Pazifismus aber wird an den linken Rand gedrängt.

Christlicher Pazifismus steht am Rand

Nicht im offiziellen Kirchentagsprogramm steht die «unabhängige Friedenssynode». Deren prominente Schirmfrau ist Altbischöfin Margot Kässmann.

Kässmann ist ein Kirchentags-Star. Sie verzichtete aber auf volle Messehallen mit Tausenden Teilnehmenden, um vor über 200 aufrechten christlichen Pazifistinnen und Pazifisten den «christlichen Friedensruf Hannover 2025» zu präsentieren.

Er vereint täuferische, evangelisch-landeskirchliche und römisch-katholische Friedensinitiativen. Aber ihr Appell «Friedensfähig statt kriegstüchtig» repräsentiert eben nicht die offizielle Kirchentagsmeinung.

Unfrieden unter Kirchenleuten – auch wegen Israel

Das Thema Aufrüstung spaltet die deutsche Gesellschaft und damit auch die Christinnen und Christen am Kirchentag.

Besonders heikel diesmal das Thema Israel: Da ist die tiefe Verbundenheit der Kirche mit dem Judentum, das ist die deutsche Loyalität zum Staat Israel, da grassiert weltweit Antisemitismus.

Kirchentag Hannover 2025 in Zahlen

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  • rund 1500 kulturelle, geistlich-liturgische und gesellschaftspolitische Veranstaltungen
  • rund 5000 freiwillige Helferinnen und Helfer
  • über 100'000 Teilnehmende erwartet; rund 65'000 Dauergäste
  • Schlafen und Duschen in der Turnhalle: Die Unterbringung erfolgt neben Hotels «traditionell» in Schulen, Kirchgemeindehäusern und Privatquartieren.
  • Hannover ist zum 5. Mal Gastgeberin des DEKT: Als «Hauptstadt des Protestantismus» ist Hannover Sitz der Evangelische Kirche in Deutschland EKD und des reformierten Weltbunds, wozu auch die Evangelisch-reformierte Kirche der Schweiz EKS gehört.

Gleichzeitig ist Solidarität geboten mit den zivilen Opfern in ganz Nahost und den bedrängten christlichen Glaubensgeschwistern dort. Diesem Dilemma widmen sich zahlreiche Diskussionsveranstaltungen in den Messehallen Hannovers.

Auch das Verhältnis zu AfD und neuem Rechtspopulismus wird rege diskutiert, allerdings ohne AfD-Mitglieder auf Podien. Man dürfe niemanden ausschliessen, kritisieren durchaus einige, anderen zogen die kirchliche Brandmauer hoch. Gesellschaftlicher Dialog und eine «Kirche für alle» sehen anders aus.

Mutige US-Bischöfin als Stargast

Gegen Rechtspopulismus und die Deportation von Geflüchteten stellt sich mutig Washingtons anglikanische Bischöfin Mariann Budde: Sie ermahnte US-Präsident Donald Trump zu Erbarmen und hielt ihm entsprechende Bibelstellen unter die Nase, etwa «Du sollst den Migranten lieben wie Dich selbst.»

Buddes Buch «Mutig sein» ist soeben auf Deutsch erschienen. Es passt perfekt zur Losung des diesjährigen Kirchentags: «mutig – stark – beherzt».

Mit Mut und Zivilcourage für Menschenrechte und Demokratie einzutreten, das will der Kirchentag. Bleibt kritisch abzuwarten, ob er 2025 noch über die Mitte-Links-Bubble hinauswirken kann.

Hinweis

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Der DEKT in Hannover dauert noch bis Sonntagmittag, 4. Mai. Einige Events werden online live vom Kirchentag selbst übertragen.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 1.5.2025, 8:00 Uhr.

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