Sie sassen stundenlang am Spulrad, klöppelten Spitzen und füllten Zündhölzchen in Schachteln ab. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verrichteten in der Schweiz über 30'000 Kinder Heimarbeit. Ebenso in der Landwirtschaft: Kinder hüteten Vieh, misteten noch vor der Schule den Stall aus und ersetzten auf manchem Bauernhof eine Magd oder einen Knecht.
Noch in den 1930er-Jahren sah man in Zürich Knaben die Strasse putzen, während Mädchen in der Aargauer Tabakproduktion Stumpen drehten. Sie besserten das Einkommen ihrer Familien auf wie jene Kinder, die mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert in Fabriken eingezogen waren.
Kleine Hände besonders gefragt
In der Innerschweizer Florettspinnerei, der Basler Seidenbandindustrie und der Glarner Stoffdruckerei waren Kinder wegen ihren kleinen Händen und schmalen Körpern besonders gefragt. Schon Sechsjährige legten sich unter Fädel- und Stickmaschinen, um Wellen und Spindeln zu putzen und zu ölen.
Manche Kinder waren hier bis zu 16 Stunden tätig, bis das Eidgenössische Fabrikgesetz von 1877 die Arbeit unter 14 Jahren verbot und den Arbeitstag auf elf Stunden beschränkte.
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Bild 1 von 4. Ende des 18. Jahrhunderts sind Zehntausende von Männern, Frauen und Kindern im Textilgewerbe beschäftigt, 95 Prozent in Heimarbeit. Kinder arbeiten oft neben der Schule und bis tief in die Nacht. (um 1912). Bildquelle: Schweizerisches Nationalmuseum.
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Bild 2 von 4. Die Alpwirtschaft verhilft auch Kleinbauern zu überleben. Der Senn melkt die Kühe von Hand – unterstützt von einem Hirtenjungen. (1890–1930). Bildquelle: Rudolf Zinggeler-Danioth/Schweizerisches Nationalmuseum.
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Bild 3 von 4. Bis 1981 nehmen Behörden ohne Gerichtsverfahren Hunderttausende Kinder ihren Familien weg. Sie werden als billige Arbeitskräfte auf Bauernhöfen eingesetzt oder in Einrichtungen platziert. Oft müssen sie dort Zwangsarbeit leisten. Viele werden sexuell ausgebeutet. (1947). Bildquelle: Theo Frey Archiv/Fotostiftung Schweiz, Winterthur.
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Bild 4 von 4. Mit der Industrialisierung beginnt die Ausbeutung der Kinder als Arbeitskräfte auch in den Fabriken. Kinder werden für die einfachen, körperlich nicht besonders anspruchsvollen, aber manchmal auch gefährlichen und schlecht bezahlten Tätigkeiten eingesetzt. (1903). Bildquelle: Schweizerisches Nationalmuseum.
Doch im Haus, im Stall und auf dem Feld blieben viele Kinder so eingespannt, dass manchen von ihnen in der Schule die Augen zufielen. Das Landesmuseum Zürich gibt auf kleinem Raum Einblick in die Geschichte der Kinderarbeit, die untrennbar mit Armut verbunden ist.
Arbeit als Erziehungsmassnahme
Dazu gehört auch, jene Aspekte zu beleuchten, die bis in die Gegenwart nachwirken. Wie etwa, dass Behörden bis weit ins 20. Jahrhundert Arbeit als Erziehungsmassnahme anordneten, etwa wenn sie Kinder in einem Heim platzierten. So erinnert sich in der Ausstellung Peter Bünzli an seine Zeit in einem Heim in Bümpliz: «Das Brünnenheim hat mich zunächst beeindruckt, als ich dort ankam: Es gab Pferde und Kühe, viele Gärten und viel Land. Aber es ging nicht lange, bis ich das Regime zu spüren bekam. Die Priorität war: arbeiten.»
Besonders betroffen waren Kinder und Jugendliche, die von ledigen Müttern und aus armen Familien stammten. Sie wurden gesellschaftlich stigmatisiert, oft bevormundet und «versorgt» und dabei zur Arbeit gezwungen. Die Ausstellung nimmt damit auch die Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen in den Blick, deren Leid bis heute anhält.
Zugleich wird in dieser Schau, die sich an Familien und Schulen richtet, auch die Situation von Kindern thematisiert, die heute für ihre Familie arbeiten, etwa indem sie kranke Angehörige pflegen und deren Alltag organisieren. Auch wenn solche Leistungen Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und das Selbstbewusstsein fördern, kann Überforderung die Folge sein.
Die Ausstellung wirft weiter auch einen Blick über die Schweiz hinaus und erinnert an die 160 Millionen von Kindern und Jugendlichen, die weltweit mit ihrer Arbeit zum Unterhalt der Familie beitragen. Sie schuften in Kakaoplantagen oder in Minen, wovon die Rohstoffindustrie und wir als Konsumentinnen und Konsumenten profitieren.
Anhand von zwei Dokumentarfilmen und Materialien des Kinderhilfswerks Unicef wird deutlich, dass die Bestandteile von Gold-Schoggi-Hasen und die Glitzersterne in unseren Kinderzimmern schon durch andere Kinderhände gegangen sind.