Nichts ist so allgegenwärtig und gleichzeitig so tabuisiert wie Geld. Lohn, Kontoauszüge, Mahnungen, Erbsummen – darüber wird, wenn überhaupt, nur im engsten Familienkreis gesprochen.
Dieses Schweigen über Geld zementiere die sozialen Ungerechtigkeiten, erklärt die deutsche Autorin und Journalistin Mareice Kaiser. Das gelte es zu ändern.
Denn: Geld ist viel mehr als nur ein Tauschgeschäft. Das ist eine der zentralen Aussagen ihres Buches «Wie viel – Was wir mit Geld machen und was Geld mit uns macht». Damit will Mareice Kaiser das Geld aus der Tabuzone holen.
Weniger Geld, weniger wert?
Die Autorin fängt direkt bei sich selbst an: Im Buch erzählt sie ihre eigene «Geldgeschichte», wie sie es nennt. Die alleinerziehende Mutter einer Tochter stammt aus einer Arbeiterfamilie, in der das fehlende Geld immer ein Thema war. Das hat Mareice Kaiser bis heute geprägt, obwohl sie mittlerweile im guten Mittelstand angekommen ist.
Sie habe oft das Gefühl, dass ihr das Geld, das sie mit ihrer Arbeit verdiene, nicht zustehe, erklärt die Autorin: «Wenn man mit wenig Geld aufgewachsen ist, mindert das den eigenen Selbstwert. Auch deswegen fällt es mir schwer, heute meinen eigenen Wert für meine Arbeit zu bestimmen», so Kaiser.
Das Schweizer Schweigen
Die 41-Jährige ist zwar in Deutschland aufgewachsen und lebt seit vielen Jahren in Berlin. Sie hat aber auch ein Jahr in Zürich gelebt. Auch in der Schweiz gibt es Armut, sagt sie, diese sei jedoch im Vergleich zu Deutschland sehr an den Rand gedrängt.
In der Schweiz sei es im Unterschied zu Deutschland selbstverständlicher, gut mit dem Geld auszukommen, gut zu verdienen und ein gutes Leben zu führen, so ihre Beobachtung. Über Geldprobleme spreche man nicht. Doch auch in Deutschland sei Geld ein Tabuthema. Auch dort spreche man nicht über den Lohn und auch dort sei Armut mit Scham und Schuld belegt.
Geschlossene Klassengrenzen?
Geld ist also mehr als nur ein Tauschgeschäft, da es emotional aufgeladen ist. Geld kann Neid oder Eifersucht, aber auch ein Gefühl der Freiheit und Unabhängigkeit auslösen. Auch diesen Emotionen geht Mareice Kaiser auf den Grund.
Geld spielt für sie zum Beispiel auch in Beziehungen oder Freundschaften eine Rolle: Es sei kein Zufall, dass all ihre bisherigen Partner wie sie aus einer Arbeiterfamilie stammten und nicht oder nur kurz studiert hätten.
Ich war mit einem Kunstsammler zusammen, das war purer Stress.
Funktionieren Beziehungen und Freundschaften also nicht über Klassengrenzen hinweg?
Kaiser erzählt dazu eine Anekdote aus ihrem Leben: «Ich war mit einem Kunstsammler zusammen, der Abendessen für andere Sammlerinnen und Galeristen veranstaltet hat. Das war purer Stress für mich, da ich nicht wusste, was ich anziehen sollte, um nicht aufzufallen. Wie gehe ich mit dem Besteck richtig um, wie zerlege ich einen Fisch richtig?»
Wie viel ist genug?
Das zeigt: Geld hängt stark mit kulturellem Kapital zusammen. Die soziale Herkunft, die Bildung, die man genossen hat, die Kleider, die man trägt. Das alles ist mit Geld verknüpft. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat den Begriff «Habitus» geprägt, um unter anderem genau das zu beschreiben.
Wenn wir transparenter und mehr über Geld sprechen, würde das eigene kulturelle Kapital dann eine weniger grosse Rolle spielen? Diese Frage wollte Mareice Kaiser unter anderem in ihrer Recherche zum Buch klären.
Also hat sie mit Menschen in unterschiedlichen Geldsituationen gesprochen, etwa einem 85-jährigen Rentner, der mit Pfandflaschensammeln über die Runden kommt. Oder mit einem jungen Selfmade-Millionär, der in Berlin mit Immobilien handelt.
«Wie viel Geld ist genug?» ist eine der Fragen, die sie diesen Menschen gestellt hat. Die Antworten fallen sehr unterschiedlich aus und verblüffen die Autorin: «Je weniger Geld da war, umso grösser war die Bereitschaft zu sagen: Das, was ich habe, reicht eigentlich. Während Menschen mit viel Geld gar nicht wussten, was sie damit noch anfangen sollten.»
Die grosse Entfremdung
Kaiser fährt für ihre Recherche in Frankfurt mit dem Essensauslieferer Antonio mit dem Fahrrad mit und berichtet über ihre Erlebnisse. Die Kurierinnen und Kuriere liefern Essen an Banker in Hochhäusern und das Essen soll genau zu einem gewissen Zeitpunkt da sein, damit der Kunde keine Zeit verliert.
Am liebsten hätte ich eine Revolution, die als obersten Wert die Fürsorge füreinander sehen würde.
Kaiser zitiert dabei den deutschen Soziologen Andreas Reckwitz, der sagt: «Wir beobachten eine zunehmende Entfernung einer gut ausgebildeten Mittelklasse von einer schlecht ausgebildeten, oft migrantischen Service-Klasse, die Essen oder Einkäufe liefert.» Die einen bestellen, die anderen liefern.
Gerechtes Geldverdienen
Auch beim Gespräch mit dem Selfmade-Multimillionär Sven geht es um diese grösser werdende Entfernung, den immer grösser werdenden Schutzradius reicher Menschen, der alles, was mit Armut und Geldproblemen zu tun hat, auf Distanz hält.
Er habe beobachtet, dass Reichtum arrogant mache, gibt der Multimillionär dann sogar selbst zu. Er bemühe sich deshalb, dass das bei ihm nicht geschehe.
Geld hat vor allem mit Gerechtigkeit zu tun. Aufgrund der grossen Krisen unserer Zeit – wie etwa der Pandemie, der Klimakrise oder auch des Kriegs in der Ukraine – geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. Einige wenige haben sehr viel Geld, während sehr viele sehr wenig Geld haben.
Im letzten Teil des Buchs stellt Kaiser die Frage, wie man zu einer besseren «Geldgerechtigkeit» kommen könnte und sagt: «Am liebsten hätte ich eine Revolution, die von einem auf den anderen Tag alles auf den Kopf stellen und als obersten Wert nicht mehr Geld und Profit sehen würde, sondern die Fürsorge füreinander.»
Mut zum Blick über den Tellerrand
Auch wenn das im ersten Moment naiv klingt – Mareice Kaiser meint damit nicht, dass alle Menschen genau gleich viel Geld verdienen sollten. Vielmehr sollten wir als Gesellschaft darüber nachdenken, wie viel Wert wir welcher Arbeit zuschreiben.
«Warum kann eine Haushaltshilfe ihr Leben lang harte körperliche Arbeit leisten und trotzdem arm bleiben, während jemand anderes eine Millionensumme erbt, nichts dafür getan hat und fast nichts davon abgeben muss?» fragt Kaiser.
Möglich wäre ein solidarischer Umgang mit Geld, indem man häufiger den Blick nach «unten» wagen würde. Egal in welcher Einkommensklasse man ist, es gibt in der Regel immer Menschen, die weniger verdienen als man selbst. Wenn man bereit ist, seine eigenen Privilegien mit diesen Menschen zu teilen, sei das schon mal ein Anfang, sagt die Berlinerin.