Slavoj Žižek gilt als einer der bekanntesten, aber auch umstrittensten Philosophen der Gegenwart. In seinen Texten wirft er gängige Denkweisen oft über den Haufen – und äussert er sich zu fast allem: Popkultur und Film, Religion und Politik, Sex und Toiletten.
Vor 75 Jahren kam Slavoj Žižek auf die Welt. Ein Anlass, um zu Feiern? «Sternstunden»-Moderator Yves Bossart hat nachgefragt.
SRF: Wie feiern Sie Ihren Geburtstag?
Slavoj Žižek: Ich hasse Geburtstage. Ich werde auch diesen ignorieren. Meinen Freunden habe ich verboten, den Geburtstag zu erwähnen.
Wenn du Pessimist bist, passieren manchmal kleine Wunder.
Unglücklicherweise werde ich an dem Tag an einem Event in London sein, wo auch mein Geburtstag gefeiert wird. Ich darf aber mein neues Buch vorstellen. Ein guter Kompromiss.
Sie sagten einmal, Glück sei etwas für Idioten. Was darf man Ihnen wünschen, wenn nicht Glück?
Wenn ich ein Buch fertig habe, verfalle ich in eine Art postnatale Depression. Ich brauche neue Arbeit. Wenn ich Gewissheit habe, dass ich wieder etwas zu tun habe, macht mich das glücklich. Auch wenn Arbeit immer auch ein Kampf ist.
Kriege, Klima und andere Krisen: Angesichts der Weltlage ist einem nicht zum Feiern zumute. Steht die Welt kurz vor dem Untergang?
Leider ja. Ich bin aber ein moderater Pessimist, weil es der einzige Weg ist, ein wenig Glück zu finden. Wenn du Optimist bist, wirst du ständig enttäuscht. Wenn du Pessimist bist, passieren manchmal kleine Wunder.
Wunder?
Wunder im materialistischen Sinne – ich bin ja Atheist. Mit Wunder meine ich etwa eine Bewegung oder Rebellion, die Hoffnung macht.
Zum Beispiel die Proteste im Iran: Es begann mit einer Frau, die getötet wurde, weil sie ihr Haar nicht bedeckte. Danach protestieren Frauen für ihre Rechte und Männer gesellten sich dazu, um sich gemeinsam gegen das fundamentalistische Regime zu wehren. Magisch.
Vielleicht brauchen wir eine grössere Katastrophe als etwa den Ukraine-Krieg, die uns endlich wachrüttelt.
Aber ich muss auch etwas Pessimismus hinzufügen. Im Alltag nehmen wir Krisen nicht ernst genug. Zum Beispiel den Ukraine-Krieg: Wir Europäer wollen helfen, aber normal weiterleben. Es klingt schrecklich und eigentlich mag ich diese Logik nicht: Vielleicht brauchen wir eine grössere Katastrophe als etwa den Ukraine-Krieg, die uns endlich wachrüttelt.
Was ist denn die Wurzel des Bösen in der Welt?
Ich fürchte nicht das Böse, das aus egoistischen Beweggründen geschieht, sondern Böses, das man für gut hält. Ich habe kürzlich eine Biografie über Heinrich Himmler gelesen. Er war überzeugt, dass er Grossartiges für die Menschheit leistet, wenn er Juden umbringt.
Hier sehe ich die grösste Gefahr: Dass man versucht ist, Böses zu tun, weil das höhere Ziel angeblich gut ist.
Wie kann man Furchtbares tun, ohne als böse zu gelten? Seine Antwort war Bhagavad Gita (Anm. der Red.: eine der zentralen Schriften des Hinduismus). Das bedeutet, dass man zu seinen Akten auf Distanz geht. Man übergeht seine Moralvorstellungen, weil man ein «gutes» Ziel vor Augen hat.
Hier sehe ich die grösste Gefahr: Dass man versucht ist, Böses zu tun, weil das höhere Ziel angeblich gut ist.
Die Schweiz feiert zwar nicht Geburtstag. Aber möchten Sie ihr etwas mitgeben?
Ein Freund von mir, der Philosoph Peter Sloterdijk, sagte mal, dass wir eine neue Ethik der Distanz brauchen. Wir müssen überleben – und nicht noch mehr zusammenarbeiten.
Vielleicht ist es ein utopisches Bild, aber ich glaube, in der Schweiz haben die Landesteile eine gute Distanz zueinander. Sie respektieren einander, kommen sich nicht zu nahe. Ein anderer Freund sagt mir über Schweizer, dass sie keine reichen Leute seien, sondern arme Menschen mit viel Geld. Das ist ein guter Umgang: Wenn du dich für reich hältst, bist du ruiniert.
Das Gespräch führte Yves Bossart.