Was war das für ein Jubel, als Europas Völker im Sommer 1914 übereinander herfielen! Auch die geistige Elite äusserte sich begeistert. Thomas Mann und Ludwig Wittgenstein, Gerhart Hauptmann und Max Reinhardt, H. G. Wells und Robert Musil – sie alle erwarteten vom grossen Morden auf den Schlachtfeldern Galiziens und Flanderns eine «Reinigung» der europäischen Kultur, was immer sich die berühmten Dichter und Denker darunter im Konkreten vorgestellt haben mochten.
Wenig Begeisterung bei bildenden Künstlern
Der Kriegs-Enthusiasmus der Intellektuellen scheint vor allem unter Schriftstellern und Philosophen grassiert zu haben. «In der bildenden Kunst war davon wenig zu spüren», erklärt Stefan Kutzenberger, Co-Kurator der Weltkriegs-Schau im Wiener Leopold-Museum: «Die Maler und Bildhauer haben die Sache eher pragmatisch gesehen. Sie haben gewusst: Mit dem Ausbruch des Kriegs zerreissen auch die internationalen Kunstnetzwerke. Und nach Paris wird man auf absehbare Zeit auch nicht mehr fahren können. Insofern gab es bei den bildenden Künstlern keine grosse Begeisterung für den Krieg.»
Ausnahmen bestätigen die Regel. Oskar Kokoschka zum Beispiel – der Liebesturbulenzen mit seiner kapriziösen Gefährtin Alma Mahler überdrüssig – machte sein grossartiges Gemälde «Die Windsbraut» zu Geld und erwarb einen Schimmel, mit dem er sich freiwillig ins Kriegsgetümmel zu stürzen gedachte. Kokoschka wurde an der galizischen Front durch einen Kopfschuss und einen Bajonettstich in die Lunge verwundet. Nach seiner Genesung liess er sich als Kriegsmaler an die Isonzo-Front versetzen, wo er zu allem Überfluss auch noch verschüttet wurde. Kokoschka überlebte – und wurde zum radikalen Pazifisten.
Soldat spielen für Kaiser und König
Egon Schiele dagegen, im Gegensatz zum expressionistischen Kraftlackel Kokoschka, Vertreter eine eher fragilen Konzeption von Männlichkeit, hatte mit Kriegshysterie und nationalistischem Säbelgerassel von Anfang an wenig im Sinn. Der Maler wurde seiner schwächelnden Gesundheit wegen als «Kanzleisoldat» im niederösterreichischen Dörfchen Mühling eingesetzt, wo er russische Kriegsgefangene zu bewachen hatte.
Das «Soldatspielen» behagte dem schmächtigen Genie ganz und gar nicht, wie seine Briefe aus dieser Zeit belegen. Viele andere Künstler – 346 an der Zahl – mussten Dienst im «k.u.k. Kriegspressequartier» tun, wo sie als Schlachtenmaler und patriotische Postkarten-Designer das Vaterland und seine heroischen Verteidiger ins rechte Licht zu rücken hatten.
Eskapismus mit schönen Körpern
Die Ausstellung im Leopold-Museum zeigt eindringlich, wie unterschiedlich verschiedene Künstler-Persönlichkeiten auf den Ersten Weltkrieg reagiert haben: Egon Schiele, der neurotisch-genialische Jungsoldat in der Etappe, porträtiert russische Kriegsgefangene in intensivem Realismus; Albin Egger-Lienz dokumentiert das Grauen des Kriegs in archaisierend-expressionistischen Grossformaten, Gustav Klimt und Koloman Moser dagegen, beide bei Ausbruch des Kriegs schon eher ältere Semester, widmen sich in schwelgerischem Eskapismus schönen, jungen Männer- und vor allem Frauenkörpern, die sie noch einmal in betörender Farbgewalt ins Bild rücken.
Dieses Spannungsfeld – einerseits harte, krasse Kriegsmalerei, andererseits erostrunkenes Schwelgen in Farben und Formen – macht die Wiener Ausstellung auf überzeugende Weise anschaulich.
Die Narben des Krieges
Besonders gelungen sind die Interventionen heutiger Künstlerinnen und Künstler, die das Kuratoren-Team rund um Elisabeth Leopold der Kriegskunst von anno dazumal gegenüberstellt. Die italienische Fotografin Paola de Pietri zum Beispiel steuert eindrucksvolle Fotografien von früheren Frontgebieten am Isonzo bei – menschenleere Karstlandschaften, in denen die Narben des Kriegs für den, der genauer hinsieht, immer noch deutlich wahrnehmbar sind.
Dazu gesellen sich noch kriegskritische Arbeiten der rumänischen Künstlerin Raluca Popa, des Serben Rasa Todosijevic und des Russen Dmitry Gutov. Alle diese Künstler – so wollten es die Kuratoren – stammen aus Ländern, gegen die Österreich-Ungarn im grossen Weltenbrand zwischen 1914 und 1918 Krieg geführt hat.
Der Jubel verstummt auf dem Schlachtfeld
Zu den Höhepunkten der Ausstellung im Leopold-Museum gehören aber ganz gewiss die wuchtigen Antikriegsgemälde des Tiroler Malers Albin Egger-Lienz. «Finale 1918», so heisst das wahrscheinlich erschütterndste Bild der Schau: hohlwangige Leichen auf einem von reglosen Körpern übersäten Schlachtfeld, in grotesken Verrenkungen ihrer Verscharrung harrend. Der Jubel des Sommers 1914: er hallt in diesem Bild als fernes, als sehr fernes Echo wider.