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Gesellschaft & Religion Die Durchsetzungsinitiative provoziert eine Grundsatzdiskussion

Immer mehr Stimmen werden laut, die sich gegen die Durchsetzungsinitiative aussprechen. Die Debatte über die Möglichkeiten und Grenzen der direkten Demokratie ist lanciert – mit Folgen weit über dieses eine Volksbegehren hinaus.

Es kommt nicht oft vor, dass eine Initiative so grundsätzliche Debatten auslöst wie die Durchsetzungsinitaitive, die am 28. Februar zur Abstimmung kommt: Mit der Initiative, die laut Initianten der sogenannten Ausschaffungsinitiative von 2010 zum Durchbruch verhelfen will, sollen eine Reihe detaillierter, unverrückbarer gesetzlicher Normen in die Verfassung gesetzt werden. Bestimmungen, die gemäss Gerichtslehre in ihrem Detaillierungsgrad eigentlich in ein Gesetz gehören. Sie sollen konkret und unverrückbar regeln, unter welchen Umständen straffällige Ausländer aus der Schweiz ausgewiesen werden sollen.

Der Widerstand ist breit

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In der «Kontext»-Sendung «Volkes Wille? – Die Fallstricke der Durchsetzungsinitaitive» Astrid Epiney, Professorin für Völkerrecht an der Universität Fribourg, Yvette Estermann, SVP-Nationalrätin, Andreas Gross, ehemaliger SP-Nationalrat und Andreas Weissen, Gründungsmitglied und langjähriger Präsident der Alpeninitiative.

Sämtliche Parteien (ausser der SVP, die das Vorhaben lanciert hat) sind dagegen. Gegen die Durchsetzungsinitiative haben sich auch 273 Parlamentarier aller Couleur (ausgenommen die amtierenden SVP-Parlamentarier), rund 140 Rechtsprofessoren sowie eine Gruppe von Strafrechtsexperten gestellt. Auch aus Kreisen der Wirtschaft erwächst der Initiative Widerstand – etwa, weil das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU tangiert sei, wie Jan Atteslander von Economiesuisse gegenüber der «NZZ» jüngst sagte.

Eine Grundsatzdiskussion

Das Anliegen der Initianten, auf Verfassungsebene klare und unverrückbare Bestimmungen zur Ausschaffung krimineller Ausländer festschreiben zu wollen, hat zu grundsätzlichen Diskussionen geführt, die das Verhältnis von Volksrechten, Gesetzgebung, Menschenrechten und Völkerrecht in vielfältiger Weise betreffen:

  • Diskutiert wird, inwiefern es zulässig ist, das Verhältnismässigkeitsprinzip – eines der tragenden Fundamente unseres Rechtsstaates – in seinem Kern auszuhöhlen, indem die Initiative einen rigiden Ausschaffungsautomatismus in die Verfassung schreibt. Kein Richter, keine Vollzugsbehörde soll mehr einen Ermessensspielraum haben, um zu beurteilen, ob der verurteilte Räuber mit amerikanischen Wurzeln, oder die Sozialhilfebetrügerin aus Norwegen eine Ausschaffung in ihr Herkunftsland verdient haben.
  • In Frage steht weiter, inwiefern diese Initiative einen Teil der hier lebenden Bevölkerung diskriminiert, in dem sie besagt, dass etwa der Vergewaltiger mit Schweizer Pass, der erst seit ein paar Monaten im Land wohnt, weniger Bestrafung verdient als der Vergewaltiger, der seit Geburt in der Schweiz lebt.
  • Offen ist auch, inwieweit die Initiative grundlegende Menschenrechte, wie sie in der Europäischen Menschenrechtskonvention und in der Menschenrechtscharta der UNO festgeschrieben sind, verletzt.
  • Viertens stellt sich die Frage, inwiefern die Initiative den Verfassungsgedanken missachtet, indem sie ein mehr oder weniger ausformuliertes Gesetz in die Verfassung schreiben will.

Volkes-Wille – wie weit?

Die Grundsatzfrage aber ist, ob und inwieweit das Volk via Volksinitiative den Gesetzgeber quasi überspringen darf. Dürfen Volksrechte letztlich alles – dürfte das Volk also auch die Todesstrafe wieder in die Verfassung schreiben, die Folter bei Terrorverdacht, die Kastration von Vergewaltigern?

Die Frage bewegt, weil in den letzten Jahren bereits eine Reihe von Initiativen vors Volk kamen, die in ihrem Gehalt wesentliche Rechte zumindest tangieren: die Anti-Minarett-Initiative, die Ausschaffungsinitiative, die Masseneinwanderungsinitaitive. Und die Frage bewegt auch, weil nicht geklärt ist, ob es dem Volk zugemutet werden darf, über Vorlagen abstimmen zu müssen, die möglicherweise rechtswidrig sind.

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