Im Gang vor einem alten Zunftsaal in Basel steht ein Tisch, überhäuft mit Broschüren. Sie tragen Titel wie «Der Bund kurz erklärt», informieren über Vereinsaktivitäten oder zeigen auf, wo ich Schweizer Freunde finden kann. Es ist ein Vorgeschmack auf die Veranstaltung, die ich an einem sommerlichen Abend besuche. Ich erhoffe mir eine Antwort auf die Frage «Wie ticken die Schweizer/innen?» Diese Frage ist zugleich Titel der Veranstaltung, organisiert von der Ausländerberatung der Basler Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige (GGG).
Rund 26 Personen versammeln sich unter historischen Wandmalereien: viele Frauen, wenig Männer, Ehepaare, Freundinnen, Einzelpersonen, Alte, Junge. Sie kommen aus Deutschland, Österreich, Italien, Tschechien und Luxemburg, ja sogar ein paar neugierige Schweizerinnen und Schweizer sind anwesend. Gemeinsam ist allen die gepflegte Kleidung und der offensichtlich gute Bildungshintergrund.
«Tschuldigung, darf ich zahle?»
Die Veranstaltungsleiterin, eine schwangere Frau mit einladendem Lachen, fordert als Einstieg die Teilnehmenden auf, typisch schweizerische Eigenschaften zu nennen. Nebst Stereotypen wie Pünktlichkeit oder Patriotismus werden Aspekte genannt, die mich im ersten Moment erstaunen: doppelte Verneinung, um den heissen Brei herum reden, Small Talk. Beim letztgenannten Stichwort flüstert hinter mir eine junge Deutsche: «Boah, das nervt, die Schweizer kommen nie über Small Talk hinaus!»
Sowohl in der deutschsprachigen als auch in der englischen Veranstaltung der Ausländerberatung der GGG sind es vor allem Fragen zur helvetischen Sprachkultur, die beschäftigen. Was ist mit «das ist nicht schlecht» im Gegensatz zu «das ist gut» gemeint? Warum entschuldigt man sich in der Schweiz immer für alles? Ist es von Vorteil, Dialekt zu lernen? Sagt man tschüss, ciao oder adieu?
Harte Schale, weicher Kern
Dialekt zu sprechen müsse nicht unbedingt der goldene Schlüssel zur guten Integration sein, sagt die Veranstaltungsleiterin. Die gebürtige US-Amerikanerin lebt seit über 30 Jahren in der Schweiz und spricht mittlerweile fliessend Schweizerdeutsch. Sie berichtet von der schwierigen Erfahrung, Schweizer Freundschaften zu knüpfen – ob mit oder ohne Mundartkenntnisse.
Beiträge zum Thema
Die Schweizer Bevölkerung sei nämlich wie eine Kokosnuss: Es gibt eine harte Schale und man muss kräftig bohren, um an den weichen Kern zu gelangen. Das Fruchtfleisch ist dann aber zart und nahrhaft. So sei es auch mit den Freundschaften zu Schweizerinnen: Es dauert zwar lange, bis sie entstehen – aber sie halten lange.
Apéro, mehr Apéro, am apéroligsten
Dass die Schweizer nicht so leicht zu knacken sind, steht für die Veranstalterinnen auch im Zusammenhang mit dem helvetischen Konzept der Privatsphäre. Diese geniesse hierzulande einen sehr hohen Stellenwert. Darum apérölen Herr und Frau Schweizer auch lieber, statt zum Znacht einzuladen.
Der Apéro als wohl populärster Schweizer Sozialevent ist ein Unding für Leute, die Small Talk hassen. Aber gerade wegen der leichten Unterhaltung bietet er eine gute Möglichkeit, ungezwungen miteinander in Kontakt zu kommen. Darum wird den aus dem Ausland Hinzugezogenen auch empfohlen, ihre Nachbarn zum Apéro einzuladen: «Machen Sie den ersten Schritt!»
Link zum Thema
Eingeladen zum Znacht
Wenn jemand dennoch die Nuss zu knacken vermag und von Eidgenossen zum Znacht eingeladen wird, ist man tief im Fruchtfleisch der Schweizer Freundschaften angekommen. Der Status ändert sich dann von Kollege respektive Kollegin zu Freund und Freundin – auch so eine helvetische Nuancierung.
Eine Teilnehmerin fragt, ob man aus Höflichkeit eher zu früh oder verspätet zur Einladung erscheinen soll. Die Veranstalterinnen empfehlen natürlich Schweizer Pünktlichkeit. Zudem schlagen sie vor, lokale Schokolade, Wein oder Blumen als Dankeschön mitzubringen. Erfahrungsgemäss würde ich dann beim Überreichen des Mitbringsels entschuldigend sagen: «Isch nüt Grosses, nume ä Fläsche Wy.»