Bad Ischl bimmelt. Dutzende junger Männer mit Kuhglocken um die Taille und prächtigen, bunten Kappen auf dem Kopf laufen durchs Ortszentrum und treiben mit Licht und Lärm die bösen Geister aus. So zumindest interpretiert der Volksglaube das, was da Jahr für Jahr am Abend des 5. Januar vor sich geht.
Das Glöcklerlaufen ist ein Rauhnachtsbrauch, der in vielen Orten des Salzkammerguts zelebriert wird. Alle Jahre wieder lockt das farbenprächtige Spektakel Zehntausende von Besuchern an.
Alles handgemacht
Woher der Brauch kommt, weiss auch Andreas Unterberger nicht. Der 35-Jährige rennt in einer der Glöcklergruppen des Bad Ischler Trachtenvereins mit. Was Unterberger aber ganz genau weiss: Es ist verdammt schwer, was er da auf dem Kopf – respektive den Schultern – mit sich schleppt.
Zwischen 15 und 20 Kilo wiegt jede der in aufwändiger Bastelarbeit selbst hergestellten Kappen, die – von innen heraus mit Kerzen beleuchtet – den Triumph des Lichts über die Kräfte der Finsternis symbolisieren sollen.
Worauf sie beim Ischler Trachtenverein besonders stolz sind: Sämtliche Kappen haben die Aktivisten selbst gefertigt, aus kunstvoll geschnittenem Ton- und Buntpapier, das in einem aufwändigen Herstellungsprozess auf ein Holzgestell aufgezogen wird.
«Unsere Kappen haben die Form von Sternen und Kometen, aber auch von markanten Gebäuden aus der Gegend», erklärt Florian Kain, ein anderer Läufer des Ischler Trachtenvereins: «Einzelne Motive zeigen auch regionale Bräuche wie das im Salzkammergut weitverbreitete Vögelfangen.»
Die kleinen Unterschiede
Glöcklerläufe gibt es nicht nur in Bad Ischl, sondern auch in Gmunden, Ebensee, Sankt Wolfgang, Bad Goisern, Sankt Gilgen und zwei Dutzend anderen Ortschaften des Salzkammerguts. Wobei jede Gemeinde eifersüchtig über ihre Traditionen wacht – und strikt auf die Einhaltung der jeweiligen Besonderheiten achtet. «Es ist ein Unterschied, ob man in Ebensee, in Bad Goisern oder in Bad Ischl läuft», weiss Floran Kain: «Die Kappen sind unterschiedlich, die Muster sind unterschiedlich – das ganze Drumherum ist unterschiedlich.»
In Bad Ischl hört man das zwar nicht gern, aber es ist nun einmal ein Faktum: Das Verdienst, das Glöckleraufen erfunden zu haben, gebührt vermutlich den Einwohnern der 18 Kilometer von Ischl entfernten Salinen-Gemeinde Ebensee. Dort dürfte sich das «Glöckeln» im 19. Jahrhundert aus anderen, älteren Rauhnachts-Ritualen heraus entwickelt haben.
Glöckler kommt nicht von Glocke
Was den Glöcklerläufen in sämtlichen Salzkammergut-Ortschaften gemein ist: Die Glöckler gelten als personifizierte Lichtgeister, die die Geister und Dämonen der Rauhnacht vertreiben sollen.
Wobei das Wort «Glöckler» nicht, wie man meinen könnte, von den Kuhglocken kommt, die Florian Kain und seine Mitläufer um die Taille tragen. Es leitet sich vielmehr vom mittelhochdeutschen Wort «klocken» für «anklopfen» ab.
Wohin immer sie kommen: Die Glöckler «klocken», also klopfen, an die Haustür. Sobald die Bewohner in den Garten oder auf die Strasse treten, beginnen die Läufer bestimmte Figuren zu tanzen: so gut wie immer Kreise, Achter und Schleifen.Der mythologisch Gebildete erkennt: Es handelt sich um Unendlichkeits-Symbole, die die Glöckler da in den Schnee stapfen, Figuren, die das Wachstum auf Wiesen und Feldern und den ewigen Kreislauf der Natur versinnbildlichen sollen.
Ein Schluck zum Dank
Natürlich tragen die Anstrengungen des Glöckleraufens reiche Früchte für die Läufer: Als Belohnung fürs stundenlange Kappentragen werden die Brauchtums-Aktivisten von der Bevölkerung mit Glühwein, Tee und «Glöcklerkrapfen» versorgt, aber auch Schmalzbrote, Knackwürste und Schnaps werden den wackeren Glöcklern gereicht.
«Da kommt schon einiges an Alkohol zusammen, wenn man fünf, sechs Stunden herumrennt», weiss Florian Kain, der bereits seit zwei Jahrzehnten als Glöckler aktiv ist. «Man muss halt einfach nur wissen, wieviel man verträgt. Am Ende des Abends sollte man schon noch in der Lage sein, seine Kappe heil ins Vereinsheim zu tragen.»
Sagt’s und dreht sich auf dem Absatz um. «Nicht böse sein», ruft er im Weiterlaufen, «aber wir haben noch den einen oder anderen Kilometer vor uns. Ein schönes, neues Jahr!»
Sendung: SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 31.12.2015, 16:45 Uhr