Wie haben Sie den 22. Juli 2011 in Erinnerung?
Meine Frau, mein Sohn und ich waren im Urlaub in Portugal. Es traf uns – wie alle Norweger – wie ein Schlag. Es war eine entsetzliche Nacht. Als es Tag wurde, machten wir uns schnellstmöglich auf nach Norwegen. Der Sommer war dann vorbei. Wie meine Frau Erika Fatland in ihrem Buch zu Utøya schrieb: Es war ein Jahr ohne Sommer. Ein Ausnahmezustand für ganz Norwegen begann, der über ein Jahr dauerte, bis sich allmählich wieder Normalität einstellte.
Die Jugendorganisation der norwegischen sozialdemokratischen Partei organisiert wieder Sommercamps auf Utøya. Halten Sie das für richtig?
Dieser Mensch, dieser Terrorist löste so viele Tragödien aus. Die Geschehnisse von damals veränderten die Gesellschaft und den Alltag nachhaltig. Die Sicherheitsmassnahmen wurden erhöht – das sieht man beispielsweise in der Mitte von Oslo, rund um die Regierungsgebäude.
Ich finde es richtig, dass man versucht, alles so weit wie möglich in den alten Spuren laufen zu lassen. Er soll nicht die Befriedigung bekommen – und so denken wohl viele Leute – Utøya von den jugendlichen Sozialdemokraten gestohlen zu haben.
Jetzt sprechen Sie von äusserlichen Veränderungen. Gibt es auch eine Art innerliche Veränderung in der norwegischen Gesellschaft?
Ich denke schon. Ein Verlust von Unschuld, die vor den Attentaten da war. Norwegen war ja eine äusserst friedliche und ruhige Gesellschaft. Bis wir merkten, dass so etwas auch bei uns passieren kann. Viele hatten davor gehofft, dass Norwegen gegen solche Geschehnisse gefeit ist. Wir waren es nicht.
Seit dem Attentat sind in Norwegen über ein Dutzend dazu Bücher erschienen. Auch Ihre Frau hat eines geschrieben. Man liest aber gleichzeitig, dass die Menschen in Norwegen nichts mehr zu diesem Thema hören wollen, dass ein gewisser Überdruss herrscht. Nehmen Sie das auch so wahr?
Verwandte Artikel
In den zwölf Monaten nach den Attentaten war das Medienbild davon geprägt. In einer so kleinen Gesellschaft hat so etwas Schreckliches ein enormes Gewicht und überschattet alles, was sonst in Norwegen und in der Welt passiert.
Es ist zu einfach zu sagen, dass die Leute dessen überdrüssig sind. Ich würde eher sagen, dass bei es bei traumatischen Ereignissen für die meisten Leute, die nicht direkt davon betroffen waren, einen bestimmten Punkt gibt, an dem das Bedürfnis besteht, zur Normalität zurückzukehren.
Die Geschehnisse von damals, der Prozess, der lange dauerte, der Appellprozess und der Antrag Breiviks, um bessere Verhältnisse in Haft zu erreichen – von all dem sind die Norweger müde. Nicht weil es uns nicht interessiert, sondern weil wir nicht wollen, dass dieser Mensch die ganze Gesellschaft prägen darf.
Gleichzeitig muss sich die norwegische Gesellschaft daran gewöhnen, dass Breivik die nächsten 40 Jahre regelmässig präsent sein und diese Plattform auch ausnützen wird.
Allerdings. Es ist sein Recht als Staatsbürger, Prozesse gegen den Staat zu führen, zu appellieren, andere Bedingungen zu ersuchen. Wenn wir einen Rechtsstaat haben wollen, müssen wir ihm das auch gestatten. Aber wir tun es nicht mit leichtem Herzen.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 22.07.2016, 08:20 Uhr.