Werner Bätzing ist «der bedeutendste Alpenforscher in Europa». So wurde er in der Laudatio des Deutschen Alpenpreises bezeichnet. Eine Koryphäe auf seinem Gebiet ist er ganz sicher. Doch Bätzing ist viel mehr als ein Forscher. Als Geograph beobachtete er nicht nur, wie sich die Alpentäler entvölkerten. Er unterstützte mit seiner ganzen Tatkraft die Schaffung der berühmten GTA, der Grande Traversata delle Alpi.
Unschätzbare Leistung für die Alpen
Die GTA ist eine Weit-Wanderroute, die über den ganzen Alpenbogen verläuft. Sie startet im Tessin oder Wallis, überquert das Aostatal, läuft um Turin herum und endet bei Ventimiglia am Mittelmeer. Zu ihrer Realisierung brauchte es die Koordination von Hunderten von lokalen Initianten, Gasthausbesitzern und Gemeindepolitikern. Es ging darum, zuhinterst in den Tälern einen Ort zum Übernachten und ein Gasthaus für die Verpflegung anzubieten und um die Markierung von Übergängen von einem Tal ins andere.
Bätzing übernahm mit Erfolg die Aufgabe, die Route im deutschen Sprachraum populär zu machen, um damit die Nutzung vorhandener Infrastruktur zu fördern und diese zu erhalten. Damit hat er Unschätzbares für eine bedrohte Kultur geleistet und die Begeisterung und Dankbarkeit unzähliger Fernwanderer gewonnen.
Eine Streitschrift für die Alpen
Nun, kurz nach seiner Emeritierung als Professor für Kulturgeografie an der Universität Erlangen-Nürnberg, legt Werner Bätzing eine fulminante Streitschrift vor. Doch Bätzing wäre nicht Bätzing, wenn das Buch mit dem Titel «Zwischen Wildnis und Freizeitpark» eine reine Polemik gegen die Zerstörung von Natur und Kultur des Alpenraums wäre. Der Untertitel heisst: «Eine Streitschrift zur Zukunft der Alpen». Das Buch blickt also voraus und zeigt mögliche Lösungen für eine in Bedrängnis geratene Landschaft auf.
Kaum je ist auf so wenig Raum so viel zu diesem Thema gesagt worden. Bätzing analysiert erst mit wenigen, prägnanten Strichen die Situation. Ruft in Erinnerung, dass die Alpen, die von Slowenien bis an die französische Mittelmeerküste reichen, nicht einfach Natur pur sind, sondern eine seit Jahrhunderten gewachsene Kulturlandschaft. Ein Wechselspiel zwischen Mensch und Natur, das als Resultat nicht etwa Zerstörung nach sich zog, sondern erstaunlicherweise das Gegenteil: Der lange Umwandlungsprozess brachte es mit sich, dass die Vielfalt der Arten bedeutend zunahm. Doch inzwischen sind die Alpen als Lebensraum bedroht.
Weder Freizeitpark noch Energiereservoir
Beiträge zum Thema
In einem zweiten Schritt bringt Bätzing bringt die gängigen «zeitgeistigen Lösungsansätze» ins Spiel. Da sind zum einen die Prediger des Neoliberalismus, die alles abstossen möchten, was keine unmittelbare Rendite abwirft («An der Spitze des neoliberalen Denkens in den Alpen steht die Schweiz»). Da sind zum andern die Verfechter einer hedonistischen Perspektive, welche die Alpen als Fun- und Freizeitpark sehen. Und ein weiterer «Lösungsansatz» reduziert die Alpen auf ihre Funktion als Wasser- und Energiereservoir. Der Wissenschaftler zeigt so nüchtern wie systematisch, wie all diese vermeintlichen Lösungsansätze ins Leere laufen.
Im Schlussteil wird Bätzing sehr grundsätzlich. Sein Fazit geht aus von der Feststellung: Die Kulturlandschaft der Alpen zeichnet sich aus durch konkrete Wirtschafts- und Handlungsformen, die immer die Nachhaltigkeit im Blick haben. Und diese Haltung ist das genaue Gegenteil des kurzfristigen und rein wirtschaftlich beherrschten Denkens, das uns die Wende von 1989 beschert hat. Bätzing ist überzeugt, dass das neoliberale Denken keine Zukunft hat. Er plädiert dafür, das Erbe der im Alpenraum entwickelten Kultur zu nutzen. Er schlägt vor, uns den da entwickelten ständigen Ausgleich zwischen wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Interessen zum Vorbild zu nehmen. Er glaubt nicht daran, dass die Metropolen die Alpen retten. Im Gegenteil: Eine Rückbesinnung auf die Tugenden der Alpen könnte die Metropolen, ja Europa retten.