Somalia ist ein Land, das in ständigem Zerfall begriffen ist. Seit 1991, nach dem Ende der Diktatur von Siad Barré, wird Somalia von einem nicht enden wollenden Bürgerkrieg zerrissen. Unzählige Interventionen, auch von Seiten der USA, viele Appelle und Vermittlungsaktionen, darunter solche der Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU), brachten dem Land keinen Frieden.
Auch die zahlreichen Entwicklungsprojekte europäischer Länder und der EU, die unter schwierigsten Bedingungen durchgeführt wurden, trugen nicht zur Stabilisierung bei. Noch immer wird Somalia von einer sehr brüchigen, gemässigten islamischen Regierung geführt, die ständig bedroht ist von den Milizen der Al Shabab.
In einem labilen Zustand
Auch andere Länder befinden sich seit Jahren in einem labilen Zustand. Der Sudan mit dem ungelösten Konflikt in Darfur, mit dem abgespaltenen Süden. Die Zentralafrikanische Republik, zerrissen von einem Kleinkrieg christlicher und islamischer Milizen. Nigeria, bedroht von der grausamen Truppe der Boko Haram, die weite Teile des Landes unsicher macht. Mali, vor vier Jahren von islamistischen Horden beinahe überrannt. Syrien, seit drei Jahren vom Bürgerkrieg buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht.
Aber auch Länder wie Haiti, die seit Jahren nicht regiert werden, sondern von einer Krise in die andere schlittern, gehören zur Kategorie der sogenannten «failed states». Menschen, die in zerfallenden Staaten leben, wollen vor allem eines: weg. Sie suchen zunächst Schutz in benachbarten Ländern, nehmen aber irgendwann den Weg Richtung Europa. Zerfallende Staaten produzieren Flüchtlinge.
Zweifel an der Wirksamkeit der Entwicklungshilfe
Beiträge zum Thema
Seit einiger Zeit schon fordern bürgerliche Parlamentarier in der Schweiz deshalb, die Schweiz solle ihre Entwicklungsgelder vermehrt in Ländern einsetzen, aus denen viele Flüchtlinge kommen. Die Schweiz müsse «ihre Entwicklungshilfe stärker mit der Asylpolitik verknüpfen», sagt Walter Müller, Nationalrat der FDP. Das heisst konkret: Man soll vor allem in Eritrea investieren, ein Land, das ebenfalls als gescheitert betrachtet werden kann.
Die Vorstellung, man könne mit Entwicklunghilfegeldern ein Land sozusagen «reparieren», greift allerdings zu kurz. Die «NZZ» verneinte vor Kurzem die Wirksamkeit von Entwicklungszusammenarbeit überhaupt. Autor Thomas Fuster kam zum ernüchternden Schluss, es gebe keinen «robusten wissenschaftlichen Beleg dafür» , dass Armut mit Entwicklungsgeldern tatsächlich bekämpft werden könne. Entwicklungshilfe, schrieb Fuster, sei nicht nur unwirksam, sondern schädlich. Das gelte auch für den Wiederaufbau von Staaten.
Demokratische Strukturen stützen
Andrea Iff von der schweizerischen Friedensstiftung Swisspeace und Esther Marthaler, bei der Entwicklungsorganisation Helvetas zuständig für Gouvernanz und Menschenrechte, zeichnen ein differenzierteres Bild. Sie weisen darauf hin, dass Armut und Perspektivlosigkeit tatsächlich wichtige Gründe für eine Flucht seien. Auch die Frage, ob ein Staat stabil ist und ein Dasein in Frieden und Sicherheit garantiert, sei zentral bei der Entscheidung zur Flucht. In beiden Sektoren könne Entwicklungszusammenarbeit massgeblich greifen, sind sich die Expertinnen einig. Die Stützung demokratischer, rechtsstaatlicher Strukturen und die Armutsbekämpfung sind denn auch zwei der wichtigen Pfeiler der Schweizer Entwicklungshilfe.
Keine sofortigen Resultate
Allerdings bedinge das Arbeiten in «failed states», in zerfallenden Staaten, eine weitgehende Flexibilität, sagt Andrea Iff. Man müsse beispielsweise mit Partnern zusammenarbeiten, die man sich nicht aussuchen könne, mit Rebellengruppen etwa oder mit Gruppen, die extreme Positionen vertreten. Es dürften in diesem Prozess auch keine sofortigen Resultate erwartet werden, sagt Esther Marthaler. Denn gerade das «peace building», die Arbeit an neuen demokratischen, tragfähigen Strukturen, brauche Zeit – 15 Jahre, manchmal auch mehr. In Sri Lanka dauerte es über zwanzig Jahre bis der Bürgerkrieg beendet werden konnte – ebenso lange wie in Liberia.