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Gesellschaft & Religion Zirkuspfarrer Adrian Bolzern: Auch Ponys wollen gesegnet sein

Die Gemeinde von Adrian Bolzern sind alle Zirkusmenschen in der Schweiz. Er tauft Neuankömmlinge, begleitet die Sterbenden. Seit zwei Jahren macht er das. Er segnet auch Zirkuszelte und Ponys. «Der Segen verleiht Schutz und den können Mensch und Tier gebrauchen», sagt er.

Wangs, an einem Mittwoch Morgen. Der erste schöne Tag seit langem. An der Pizolbahn steht der Zirkus Stey, rot und weiss. Der Himmel trägt Kaiserwetter. In der Sonne steht ein Kamel. Pfarrer Bolzern kommt zügig angefahren. Er ist der Zirkuspfarrer und zuständig für alle Zirkusmenschen der Schweiz. An Pfingsten hat er das jüngste Mitglied der Familie Stey getauft. Er habe noch ein «zweites Standbein, seine Pfarrei im Aargau», sagt er.

Er kennt hier alle

«Hörpunkt» zum Zirkus

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«Manege frei – Zirkus zwischen Wunderland, Wirklichkeit und Vision»: Radio SRF 2 Kultur widmet dem Zirkus mehrere Stunden – im «Hörpunkt» vom 2. Juli 2016. Von 09.00 bis 15.00 Uhr live. Ab 17.00 wird die ganze Sendung wiederholt. Danach kann man sie online nachhören.

Er begrüsst jeden: Juri, den Kapellmeister. Den Clown, der kommt «oben von Hamburg weg». Der «alte Herrn Stey» kommt angefahren, hält kurz an, man redet durch's offene Autofenster. Er, Stey, habe in den vergangenen Tagen Transporte gemacht. «Solche Leute kann man brauchen, nicht so wie den Pfarrer, der kommt und nur Zeit stiehlt», sagt Bolzern. Alle lachen. Bolzern sagt, er sei bei den Zirkusmenschen am richtigen Platz.

Mit «dem jungen Herrn Stey» geht er zu den Ponys. Die werden heute gesegnet. Das verleihe Schutz, sagt Bolzern. Den könnten sie beim Zirkus allgemein gut gebrauchen. Das katastrophale Wetter der vergangenen Wochen hat Plätze unterspült. Das Gastspiel in Wangs kam kurzfristig zustande, im Liechtensteinischen ging nichts mehr. Die Ponys segnet Bolzern gleich in ihrem Transporter, Lust herauszukommen haben sie an dem Morgen noch keine.

Mehr Wertschätzung für Zirkusmenschen

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Seit vier Jahren ist Bolzern geweiht, seit zwei Jahren Zirkuspfarrer. «Ich bin noch immer in Ausbildung», lacht er. Vor Zirkusmenschen habe er grossen Respekt, sie seien hilfsbereit, führten kein einfaches Leben. Vieles habe sich in den letzten Jahren für sie verschlechtert. «Früher war das eine Sensation, wenn es hiess, der Zirkus kommt.»

Heute sei Zirkus in einer Konkurrenzsituation mit anderen Angeboten, sagt Bolzern: «Theater, Musicals. Das alles macht es schwierig, und die Kosten sinken nicht. Im Gegenteil.» Deshalb sage er auch allen, sie sollten hingehen: «Man hat einen schönen Nachmittag oder Abend.» Er findet, Zirkusmenschen verdienten mehr Wertschätzung, sonst werde diese Kunstform aussterben.

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«Sterben hat Priorität»

Bolzern erlebt alle Höhen und Tiefen des Zirkuslebens mit: Vor kurzem war er in Rom, Audienz beim Papst. Zirkusmenschen aus verschiedenen Ländern waren da. Und mitten in der Audienz wurde er angerufen: Ein alter Artist, den er gut kenne, liege im Sterben, berichtete ihm dessen Tochter. «Da konnte ich nicht. Was mir sehr leid tat. Sterben hat Priorität.» Aber es war zu weit weg.

Bei der Audienz hatte ein Zirkusdirektor einen Leoparden und einen kleinen Panther dabei und lud den Papst ein, den Panther zu streicheln. Das habe der auch tatsächlich gemacht. Woraufhin sich der Panther auf die Hinterbeine stellte. Der Papst sei vor Schreck fast umgefallen, was wiederum den Panther erschreckte: «Wann streichelt dich schon mal der Papst.» Bolzern lacht.

Jesus war auch nicht sesshaft

Er muss zurück ins Aargau: «Ein Termin am Nachmittag. Geht nicht anders», sagt er, umarmt den Zirkusdirektor, wirft einen Blick in den Kinderwagen des Neuankömmlings, den er an Pfingsten getauft hat und sagt: «Zirkusleute haben etwas Jesuanisches, der ist auch nicht sesshaft gewesen.» Er springt in sein Auto, «unterwegs noch schnell etwas Kleines essen» und dann gehe es gleich weiter. Er fährt davon.

Am Nachmittag ist Kindervorstellung. Der Clown am Eingang fragt eine Frau: «Wie viele Kinder haben Sie?» «19», sagt sie. Der Kindergarten ist da. Eine Frau auf dem Velo fährt vor, in ihrem Schlepptau ihr Sohn. Sie fragt: «Hat es Leute?» Ja, hat es. Sie sagt:«Gott sei Dank». Sie seien gestern mit der ganzen Familie dagewesen. «Toll. Und für kein Geld. Wenn man bedenkt, was man geboten kriegt.» Ihr Sohn hätte heute wieder hin gewollt. Der müsse jetzt aber in die Trompetenstunde. Er nickt. Macht ein langes Gesicht. Und schaut Richtung Zirkus. Die Mutter sagt: «Komm.» Er folgt. Drinnen beginnt die Vorstellung.

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