Pantone bejubelt seine Farbwahl als «historische Auswahl: die erste weisse Farbe des Jahres». Das klingt so, als habe das US-amerikanische Unternehmen für Farbkommunikation das Rad neu erfunden. Mindestens. Doch was soll an einem – leicht abgetönten – Weiss so revolutionär sein? Wenn man die bisherigen Farben des Jahres betrachtet, ist Pantone 11-4201 Cloud Dancer nicht wirklich überraschend.
Seit einem Vierteljahrhundert kürt Pantone je eine Farbe des Jahres. Zuletzt machten Mocha Mousse (2025) und Peach Fuzz (2024) das Rennen. Sanfte Töne aus dem Beige-Rosé-Spektrum, leicht und schmeichelweich wie kalorienreduzierte Cremespeisen. Folgt man dieser Cremetonspur weiter in Richtung Leichtigkeit und Helligkeit, landet man irgendwann zwangsläufig bei Weiss.
Cloud Dancer, das klingt verspielt nach Traumtänzerei und Musse. Da haben die Wortkreateure und Werbepoetinnen wirklich gute Arbeit geleistet.
Bereits Mocha Mousse und Peach Fuzz schmeckten nicht allen. In traditionellen und sozialen Medien gab's viel Kritik. Manche fanden die Farben einfach fad, andere sahen darin Anspielungen auf helle Hautfarben. Auch die Farbe des Jahres 2026 irritiert. Die Washington Post schreibt: «In einem Jahr voller Nachrichten über den zunehmenden weissen Nationalismus könnte die Ausrufung von Weiss zur Farbe des Jahres 2026 für Stirnrunzeln sorgen.»
Bei Pantone sieht man das anders. Für den Farbdienstleister aus New Jersey ist Weiss der Gipfel der Neutralität. Ein Farbton, der zu allem passt. Und der «einen Wandel des Lebensstils» einläuten will, wie die Unternehmenswebsite selbstbewusst verkündet.
Cloud Dancer, das klingt verspielt nach Traumtänzerei und Musse. Da haben die Wortkreateure und Werbepoetinnen wirklich gute Arbeit geleistet. Laut Pantone-Homepage ist «Cloud Dancer eine direkte Antwort auf den Zeitgeist». Und dieser Zeit fühlt Pantone kritisch den Puls. Da ist von einer Ära die Rede, «die von Informationsüberflutung, digitalem Lärm und globaler Unsicherheit geprägt ist».
Ist man besser gewappnet, dem digitalen Lärm entgegenzutreten, wenn man in einen Hosenanzug in Cloud Dancer Weiss schlüpft?
Viele Menschen werden hier zustimmend nicken. Ja, so sieht sie aus, die Gegenwart: unruhig und verunsichernd.
Aber ist Cloud Dancer die Lösung dieser Probleme? Hilft es, das Sofa im neuen Trendton beziehen zu lassen? Ist man besser gewappnet, dem digitalen Lärm entgegenzutreten, wenn man in einen Hosenanzug in Cloud Dancer Weiss schlüpft? Einem Farbton, der laut Pantone «eine universelle Sehnsucht nach Einfachheit und Frieden» widerspiegelt. Und den man mit Accessoires in Terrakotta, Salbeigrün und warmen Brauntönen aufpeppen kann, «um sich mit der Natur zu verbinden».
Anregungen für derlei Farbkombinationen liefert die Pantone Homepage gleich mit. Und wenn man gedanklich erst einmal dem Abzweig in Richtung «Erdige Erdung» und «Monochromatische Gelassenheit» folgt, dann entfernt man sich rasch auch vom digitalen Lärm in der globalen Unsicherheit. Wenn man sich fest auf den Zustand des eigenen Interieurs und Kleiderschranks fokussiert, ist der Zustand der Welt gar nicht mehr so bedrückend.