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Kirchenaustritt: Befreiungsakt oder Verzweiflungstat?
Aus Sternstunde Religion vom 25.08.2019.
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Kirche in der Krise «Ich kann jeden verstehen, der aus der Kirche austritt»

Die Anzahl der Austritte aus der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz nehmen zu. Viele möchten einer Kirche nicht mehr angehören, die Frauen diskriminiert und den sexuellen Missbrauch in den eigenen Reihen nicht genügend aufarbeitet oder sogar duldet. Für die 28-jährige Theologin Jacqueline Straub steht ein Kirchenaustritt trotzdem ausser Frage.

Jacqueline Straub

Jacqueline Straub

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Jacqueline Straub ist römisch-katholische Theologin, Buchautorin und Referentin. Sie arbeitet als TV-Redaktorin beim «Fenster zum Sonntag», das samstags und sonntags im SRF zu sehen ist. Seit Jahren setzt sie sich für Frauen in kirchlichen Ämtern und Reformen in der katholischen Kirche ein.

SRF: Immer mehr Menschen – viele Frauen – kehren der Kirche den Rücken. Warum bleiben Sie?

Jacqueline Straub: Kirche ist für mich Heimat. Und ich glaube, dass man die katholische Kirche nur verändern kann, wenn man drin bleibt und von dort aus Reformen anstösst. Aber ich kann auch jeden verstehen, der aus der Kirche austritt. Die Kirche hat dazu viele Gründe geliefert.

Frauen können genauso wie Männer von Gott zum Priesteramt berufen sein.

Ist das Bleiben für Sie eine Gewissensfrage?

Nein, für mich ist es eine Glaubensfrage.

Was verhindert heute eine Gleichstellung von Frauen, von Homosexuellen, von Geschiedenen?

Bis heute wird die Bibel immer noch dazu verwendet um zu sagen, Homosexuelle seien nicht ganz Teil dieser Gemeinschaft. Oder Geschiedene würden nicht in das katholische Bild passen.

Und dass Frauen nicht Priesterinnen sein dürften. Dabei können Frauen genauso wie Männer von Gott zum Priesteramt berufen sein. Frau-Sein ist kein Ausschlusskriterium.

Wenn man die Bibel wissenschaftlich richtig anschaut – und nicht mit einer patriarchalen Brille, die seit 1800 Jahren aufgesetzt ist – sieht man, dass Frauen genau die gleichen Rechte haben.

Lisa Kötter, die Mit-Initiatorin der deutschen katholischen Protestbewegung «Maria 2.0» hat Sie einmal aufgefordert, einfach Priesterin zu sein und nicht auf das Okay des «katholischen Männerbundes» zu warten. Warum können Sie nicht einfach ab heute Priesterin sein – einfach ohne Weihe durch einen Priester?

Ich möchte keinen Sonderweg gehen, sondern ich möchte auch im Einklang mit Rom, mit dem Vatikan, meine Berufung leben können. Ich fühle mich zur römisch-katholischen Priesterin berufen, mein Herz schlägt römisch-katholisch.

Wenn jetzt alle abwandern, wenn alle die katholische Kirche verlassen, wer ist denn dann noch da?

Und darum sage ich: Ich warte, bis wir Frauen die Priesterweihe wirklich bekommen. Ich verstehe, wenn Frauen nicht warten wollen. Es gibt auch Frauen, die bereits römisch-katholische Priesterinnen sind. Aber ich sage: Nur mit Rom!

Warum werden Sie nicht einfach reformierte Pfarrerin? Dann wäre die Geschlechterfrage kein Problem mehr.

Wenn jetzt alle abwandern, wenn alle die katholische Kirche verlassen, wer ist denn dann noch da? Dann sind es nur noch die Ewiggestrigen, die kein Interesse daran haben, die Kirche irgendwie zu reformieren und die Kirche wieder zu einem Ort zu machen, wo sich die Menschen wohlfühlen können.

Es braucht liberale Kräfte innerhalb der Kirche, die sich einsetzen, die dableiben und die immer wieder den Finger auf die Wunde legen und sagen: Da läuft etwas ganz schief.

Wann wird Jacqueline Straub zur Priesterin?

Früher war ich noch optimistischer und gutgläubiger. Vor zehn Jahren habe ich gesagt, ich würde in zehn Jahren Priesterin sein. Heute bin ich es immer noch nicht. Es wird ein langer, steiniger Weg sein.

Ich denke aber, dass jeder Beitrag auf diesem langen Weg zur Gleichberechtigung der Frau wird am Schluss zum Ziel führen wird. Ich fokussiere das Ziel und sage: Egal, wie lange es dauert – ich kämpfe dafür bis zu meinem letzten Atemzug.

Das Gespräch führte Christine Schulthess.

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