Was ist passiert? Im deutschen Feuilleton tobt eine Debatte um die Frage, ob Deutschland schwere Waffen an die Ukraine schicken soll. Letzten Donnerstag hatte sich der Deutsche Bundestag mit grosser Mehrheit dafür entschieden, das Land mit schweren Waffen wie Flugabwehrpanzern zu beliefern . Dies, nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz in der Frage lange gezögert hatte.
Kurz darauf erschienen zwei offene Briefe an Scholz mit jeweils komplett entgegengesetzten Forderungen, einer in der «Emma» , einer in der «Zeit» . Unterzeichnet waren sie jeweils von namhaften Kulturschaffenden.
Was waren die Forderung des «Emma»-Briefs? Insgesamt 28 Intellektuelle um die Feministin Alice Schwarzer – darunter die Autorin Juli Zeh, der Schriftsteller Martin Walser und der Schauspieler Lars Eidinger – forderten Olaf Scholz darin auf, weder direkt noch indirekt weitere schwere Waffen an die Ukraine zu liefern. Stattdessen soll Deutschland sich für einen Waffenstillstand einsetzen sowie für einen «Kompromiss, den beide Seiten akzeptieren können». Bisher unterschrieben 227'000 Menschen den Brief online .
Was war die Begründung? Die «Emma»-Gruppe warnte vor einer weiteren Eskalation des Krieges. Russland könnte sich mit einem Gegenschlag gegen die Waffenlieferungen wehren. Weil Deutschland NATO-Mitglied ist und sich NATO-Staaten gegenseitig unterstützen, könne das bis zu einem Dritten Weltkrieg mit Atomwaffen führen. Zudem sei das Leid, dass die ukrainische Bevölkerung durch einen weiteren Krieg erfahre, schlichtweg zu gross. Deshalb müsse der Krieg schnellstmöglich beendet werden.
Was waren die Reaktionen? Alice Schwarzer erhielt für den Brief viel Kritik von deutschen Politikerinnen und Politikern. Etwa vom Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), der ihr «Vulgärpazifismus» vorwarf. Viele deuteten den Brief als Aufforderung an die Ukraine, die umkämpften Gebiete im Osten des Landes an Russland abzutreten. Auch der ukrainische Botschafter in Berlin reagierte auf Twitter empört:
Katja Lange-Müller, eine der Unterzeichnerinnen, hat sich inzwischen von ihrer Unterschrift distanziert. Diese sei ein Fehler gewesen, schrieb die Schriftstellerin. Sie habe sich vor allem von ihrer Angst verleiten lassen. Es sei aber falsch, die Ukraine «quasi zur Kapitulation» aufzufordern.
Was steht im offenen Brief in der «Zeit»? Der zweite Brief war eine Reaktion auf den ersten. Darin fordern deutsche Intellektuelle – unter ihnen der Autor Daniel Kehlmann, der Pianist Igor Levit und die Schriftstellerin Ronya Othmann – nicht nur rasche, sondern auch kontinuierliche Waffenlieferungen an die Ukraine.
Wie lauten die Argumente? Der Unterschied zwischen schweren Waffen und Defensivwaffen sei längst irrelevant, so die Unterzeichnenden. Schliesslich benutze die Ukraine auch Panzer zur Selbstverteidigung. Deutschland müsse sich dafür einsetzen, dass der russische Angriffskrieg in der Ukraine erfolglos bleibe – und dazu würden Waffenlieferungen beitragen. Konzessionen an Russland würden dieses dagegen nur «zu weiteren militärischen Abenteuern ermutigen».
Wie geht es jetzt weiter? Derzeit sieht es so aus, als würde Deutschland bei den Waffenlieferungen bleiben. Kanzler Olaf Scholz hatte den Entscheid am Mittwoch öffentlich verteidigt. Die Debatte dürfte allerdings so schnell nicht wieder abreissen. Denn für Deutschland sind die Waffenlieferungen ein Tabubruch. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war Deutschland immer sehr zögerlich, was den Einsatz von deutschen Waffen oder Soldaten im Ausland betraf. Schon im Jugoslawien-Krieg in den Neunzigern oder während des Irakkrieges gab es deshalb heftige Debatten.