Was steckt hinter dem Rücktritt des Ratspräsidenten der evangelisch-reformierten Kirche, Gottfried Locher? An der gestrigen Synode in Bern wurde bekannt: Nicht nur wird Locher Belästigung vorgeworfen, sondern es kam auch eine interne Affäre ans Licht.
Aus dieser Krise findet die Kirche so schnell nicht heraus, sagt Religionsredaktorin Nicole Freudiger.
SRF: Welche neuen Hintergründe wurden zu Ex-Präsident Lochers Rücktritt bekannt?
Nicole Freudiger: Einerseits wurde klarer, worum es bei den Vorwürfen gegen Gottfried Locher ging. Bis jetzt war lediglich von Grenzverletzungen die Rede.
Christoph Weber-Berg, der Präsident der reformierten Landeskirche Aargau, sagte: «Es sei mehr gewesen als ein sexistischer Spruch oder eine unangenehme Berührung.» Gottfried Locher habe seine Stellung missbraucht, um sich mehreren Frauen ungebührlich zu nähern. Das sind Vorwürfe, die bis jetzt nicht erwiesen sind.
Allerdings gab es noch eine weitere Enthüllung: Gottfried Locher soll während zwei Jahren ein Verhältnis mit einem weiteren Mitglied des Kirchenrates gehabt haben, mit Sabine Brändlin.
Wie ist diese Affäre ans Licht gekommen?
Das hat ein weiteres Mitglied des Kirchenrates – Ulrich Knöpfel – der Synode mitgeteilt. Er tue dies, auch wenn er damit den Persönlichkeitsschutz von Brändlin und Locher verletze und trage die Konsequenzen, sagte er.
Gerüchte über ein solches Verhältnis gab es schon länger. Nun ist es offiziell bestätigt. Sabine Brändlin hatte zwar den Rat über das Verhältnis informiert, aber erst als schon einige Zeit verstrichen war. Daraufhin hatte Kirchenrat Ulrich Knöpfel sie zum Rücktritt aufgerufen. Das tat sie im April.
Was macht die Affäre dermassen brisant?
Die Affäre ist nicht nur problematisch, weil zwei Räte befangen waren, sondern auch, weil Locher das Verhältnis geleugnet hat.
Die Enthüllungen werfen ein schlechtes Licht auf den Rat: Das interne Verhältnis wurde nicht bemerkt und nicht thematisiert.
Dazu kommt: Sabine Brändlin hat gemäss heutigen Informationen die Beschwerde jener Frau mitbearbeitet, die Gottfried Locher Belästigung am Arbeitsplatz vorwirft.
Welche Konsequenzen haben diese Enthüllungen?
Den Unterstützern von Gottfried Locher geben die Enthüllungen neue Munition, die Vorwürfe gegen ihn als Racheakt einer ehemaligen Geliebten abzutun. Das halte ich für unwahrscheinlich.
Es wirft aber auch ein schlechtes Licht auf den Rat und die gesamte reformierte Kirche der Schweiz EKS. Dass das Verhältnis nicht bemerkt und thematisiert wurde, ist das eine. Zusätzlich gibt es einen Bericht der Geschäftsprüfungskommission GPK, die dem Rat auch kein gutes Zeugnis ausstellt.
Welche Vorwürfe macht die GPK dem Kirchenrat?
Der Bericht der GPK sorgte an der Synode für viel Aufsehen. Im Bericht wird nämlich das Verhältnis von Gottfried Locher und Sabine Brändlin benannt. Das Büro der Synode wollte deshalb den Bericht nur dann an die Parlamentarierinnen und Parlamentarier abgeben, wenn diese unterschreiben, dass der Bericht geheim bleibt. Zudem sollte die Diskussion unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt werden.
Die Synode hat entschieden, dass eine Kommission die Vorfälle erneut untersuchen soll.
Diese Forderung hat die Synode aber abgelehnt. Im Bericht ist die Rede von einem Machtvakuum im Rat, Kompetenzen seien überschritten worden und der Rat sei zwischenzeitlich überfordert gewesen.
Die Synode hat nun entschieden, dass eine Kommission die Vorfälle erneut untersuchen soll. Zudem gibt es eine externe Untersuchung, die der Rat eingeleitet hat. Und im Herbst sollen dann Wahlen stattfinden für das Präsidium und den vakanten Sitz im Rat.
Das Gespräch führte Irene Grüter.