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NYT macht Schluss mit lustig Die «New York Times» verzichtet auf politische Cartoons

Seit langem publiziert die internationale Ausgabe der «New York Times» täglich einen politischen Cartoon. Damit ist nun Schluss: Gestern kündigte die Zeitung an, die tägliche Zeichnung auf der Meinungsseite Anfang Juli zu streichen.

Der Entscheid sorgt für Wirbel. Der Schweizer Karikaturist Patrick Chappatte, der nun bei der New York Times die Kündigung erhalten hat, sieht die Meinungsfreiheit in Gefahr.

Anette Gehrig, Direktorin des Cartoonmuseums Basel, über differenzierte Karikaturen in digitalen Zeiten.

Anette Gehrig

Kuratorin

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Anette Gehrig leitet das Cartoonmuseum Basel und kuratiert Schauen von der französischen Satirezeichnung bis zum chinesischen Manhua.

SRF: Die «New York Times» schafft in jeder internationalen Ausgabe die politischen Cartoons ab. Was löst dieser Entscheid bei Ihnen aus?

Anette Gehrig: Im ersten Moment wundert mich das. Ich kenne die «New York Times» als innovative Zeitung, die sehr viel für die aktuellen Formen der Zeichnung gemacht hat, vor allem auch in der Comic-Reportage.

Auch mit Christoph Niemann, einem Künstler der mit digitalen Reportagen gearbeitet hat, hat die «New York Times» zusammengearbeitet. Sie hat stets die neusten Entwicklungen mitverfolgt.

Hat dieser Entscheid eine symbolische Dimension? Ist der politische Cartoon, die Karikatur in der Krise?

Die Karikatur ist nicht in der Krise. Ich denke, dass sich Zeitungen stark verändert haben. Die Zeichnungsformate sind vielseitiger geworden. Gerade die «New York Times» hat sich stark gemacht für Geschichten, in denen man mit mehreren Bildern und Zeichnungen arbeitet.

So können in einer ganz anderen Weise komplexe Themen aufgenommen werden. Die digitalen Welten sind dazugekommen, das Medium ist umso reizvoller.

Die klassische Karikatur kann im digitalen Umfeld genauso gut funktionieren.

Patrick Chappatte benennt das in seinem Blog-Eintrag. Er sagt, die sozialen Medien, deren Dynamiken und die raschen Reaktionen seien ein Problem für die Karikaturisten. Ist der Druck zu gross, der durch den digitalen Raum auf dieses Medium zukommt?

Eine Karikatur ist eine komplexe Auseinandersetzung. Man braucht Zeit, um sie anzuschauen. Klar, der Inhalt soll schnell vermittelt werden. Das ist das Wesen der Karikatur: innert weniger Sekunden muss man die Pointe erkennen.

Aber trotzdem: Um sich richtig einzulesen, braucht es viel Wissen – über Politik und Gesellschaft. Auch die Auseinandersetzung mit Kunst braucht Zeit. Ich glaube diese Zeit ist uns abhandengekommen.

Was bedeutet dieses digitale Umfeld für die CartoonistInnen – und für die klassischen Medien wie die «New York Times»?

Es gibt vielfältige Möglichkeiten. Mit einer Zeichnung kann man heute viel machen. Die klassische Karikatur kann im digitalen Umfeld genauso gut funktionieren. Ebenso die Comic-Reportage, das humoristische Bild ganz allgemein oder Comics.

Soll diese satirische Form weiterhin alles können, ohne Rücksicht?

Die Satire, die Kunst muss frei sein. Zum Wesen der Karikatur gehört, dass sie gesellschaftliche Zustände aufzeigt und anspricht. Und zwar sehr direkt und pointiert.

Es gibt natürlich – und das hat uns die Geschichte gelernt – politische Situationen, in denen die Karikatur auch vorsichtig sein muss. Wo ein politisches Klima derart aufgeheizt ist, dass man mit einer pointierten Aussage, dass die Kritik gar nicht viel nützt.

Dann ist es vielleicht eine andere Art von Bildsprache, die man dann einsetzen muss. Das ist die grosse Gratwanderung: wann und in welchem gesellschaftlichen Umfeld eine direkte Kritik auch vertragen wird.

Das Gespräch führte Oliver Meier.

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